Hast du eine Ahnung, was dein Hund alles über dich weiß? Vermutlich mehr, als dir klar ist. Und vermutlich ebenfalls mehr, als der Durchschnittshundebesitzer über seinen Vierbeiner weiß. Okay, unser tierischer Freund ist uns beim Sammeln der entsprechenden Daten auch eine Nasenlänge voraus. Denn während wir über Gerüche nahezu keine Informationen über unseren Hund erhalten – mal abgesehen davon, wenn mit der Verdauung etwas nicht stimmt – ist er Experte im Auswerten olfaktorischer Informationen. Und er hat einen zweiten gewaltigen Vorteil. Er hat den ganzen Tag Zeit. Er nutzt seine „durch das Jahrtausende mit dem Menschen Zusammenleben geschärften Sinne“ besser, als jeder Spion es könnte. Zum Glück können Hunde nicht sprechen, denn ansonsten könnten sie sich vor Angeboten der einschlägig bekannten Geheimdienste sicher nicht retten und James Bond müsste um seinen heißgeliebten Job als „Top-Agent Ihrer Majestät“ fürchten.
Vom Beobachten des Beobachters beim Beobachten
Vor etwa 130.000 Jahren fing alles an. Zu einer Zeit als Homo sapiens sich die Welt noch mit Säbelzahntigern, Mammuts und Neandertalern teilte, suchten Wölfe freiwillig die Nähe zu Menschenlagern und beobachteten unsere Vorfahren. Auch die Menschen beobachteten – anfangs vermutlich argwöhnisch – die Wölfe. Wölfe waren Nahrungskonkurrenten, trotzdem wurden sie geduldet. Wie kam es dazu? Der Verhaltensforscher Erik Zimen (12.05.1941-19.05.2003), der als bedeutendster Wolfsexperte Deutschlands galt, vermutete, dass sie Abfälle und Exkremente fraßen und deshalb für den Menschen nützlich waren. „Vielleicht auch weil man sie im Notfall als Fleisch- und Felllieferanten nutzen konnte.“ (Zimen, 1992). So lebten beide Arten vermutlich lange Zeit auf Abstand nebeneinander her. Man beobachtete sich, aber zum menschlichen Sozialpartner wurden die Wölfe so nicht. Die Sozialisierung auf den Menschen und die daraus resultierende Bindung kann sich nur im Welpenalter prägen. Sie entstand vermutlich erst, als Menschen Wolfswelpen von ihren Müttern trennten und sie aufzogen. Da Welpen Milch brauchen, liegt es nahe, dass Frauen den ersten Schritt bei der Domestikation des Hundes gegangen sind. Da der Mensch damals noch keine Nutztiere gehalten hat, ihre Milch also nicht zur Verfügung stand, konnten ausschließlich sie die Welpen mit der notwendigen Nahrung versorgen.
Die so herangewachsenen ersten „Wolfshunde“ durften fortan mit den Menschen zusammen im Lager leben. Von dem Zeitpunkt an entwickelte sich die Zukunft der beiden Arten in einer Art „Ko-Evolution“. Man ließ sich aufeinander ein und erkannte die Vorteile des Zusammenlebens. Die Domestikation konnte jedoch nur gelingen, weil die „Wolfshunde“ sich freiwillig entschieden beim Menschen zu bleiben, denn mit den damaligen Mitteln aus einfachen Zäunen oder Steinwällen, hätte man die Tiere nicht dazu zwingen können. Eine weitreichende Entscheidung! Die Tiere müssen sich gefühlt haben wie Captain Kirk, wenn er in fernen Galaxien fremde Zivilisationen erkundete, „die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“. Was blieb dem „Wolfshund“ und später dem Hund also anderes übrig, als zu einem Menschenversteher zu werden …
Und diese Fähigkeit hat er bis heute immer weiter perfektioniert. Seine soziale Intelligenz im Zusammenleben mit uns ist beeindruckend. Vielleicht ziehen es deshalb mittlerweile viele Singles vor, mit einem Hund als mit einem menschlichen Partner zusammenzuleben.
Die Anpassung an unsere Kommunikation ist so weitreichend, dass Wissenschaftler wie Ádám Miklósi sogar vermuten, dass ein Menschenverständnis bereits in den Hundegenen verankert ist.
Und nicht nur das … Hunde entwickelten eine völlig neue Art der Kommunikation – das Bellen! Einer der Gründe, warum sich das Bellen zu einer sehr differenzierten Form der Verständigung ausgebildet hat, war sehr wahrscheinlich die Kommunikation mit dem Menschen. Oder etwas flapsig ausgedrückt… Die Tiere mussten einen Weg finden, wie sie sich angesichts der vermutlich eher bescheidenen Fähigkeiten unserer Vorfahren, die subtile Kommunikation über Körpersprache, Gestik und Mimik der Caniden zu interpretieren, verständlich machen konnten.
Das Bellen, in seinen sehr differenzierten Formen, ist eines der wichtigen Kommunikationsinstrumente für den Hund mit seinem Bindungspartner Mensch.
„Zusätzlich wurde während des Prozesses der Domestikation das Bellen durch gezielte Zucht wahrscheinlich sehr variabel in Qualität und Quantität selektiert und verändert. Dadurch konnten Menschen z. B. auf der Jagd am Bellen des Hundes erkennen, welche Situation der Hund gerade erlebt. Auf diese Weise konnte Bellen zu einer neuen, sehr wichtigen Kommunikationsform für Haushunde werden.“ (Dorit Urd Feddersen-Petersen, 2000).
Aber Hunde haben nicht nur ihre Art der Kommunikation auf die Verständigung mit dem Menschen angepasst, die Domestikation hat dazu geführt, dass der Mensch sogar als Bindungspartner für den Hund wichtiger wurde als seine Artgenossen. Sie kennen uns so gut, dass sie riechen können, wie es uns geht. Wir können ihnen kein „X“ für ein „U“ vormachen. Sie durchschauen ein Theaterspiel und erkennen unsere wahre Stimmung sofort.
Aber genauso geschickt sind sie im Interpretieren unserer Körpersprache und im Entschlüsseln unserer akustischen Kommunikation. Der perfekte Spion eben!
Sie beobachten uns so gut, dass sie zumeist wissen, ob sie uns begleiten dürfen, wenn wir das Haus verlassen, schon lange bevor der verräterische Griff zu Leine und Halsband kommt. Irgendein Detail unseres Verhaltens bei den Vorbereitungen hat ihm verraten, dass er entspannt liegen bleiben kann, er diesmal nicht mitkommen darf. Das können Dinge wie ein bestimmtes Parfüm sein, die klappernden Absätze der Ausgehschuhe, das Klimpern von Ketten oder Armbändern, das Zähneputzen vor dem Zahnarztbesuch oder jedes andere kleine Detail, das er mit der Situation in Zusammenhang bringen kann.
Schau mir in die Augen, Kleines
Dieses berühmte Filmzitat aus "Casa-blanca", das übrigens im Film gar nicht so gesagt wird, sondern nur in einer frühen Synchronfassung enthalten war, gibt jedem Hundebesitzer einen guten Rat, wenn es um die Kontrolle seines Tieres geht. Denn unsere vierbeinigen Freunde wissen ganz genau, wann wir sie sehen können und wann nicht. Wer kennt das nicht, gerade hat „Bello“ noch super gehört, doch dann trifft man einen Bekannten, kommt ins Gespräch und schon war es das mit dem Gehorsam.
Forscher der Universität Leipzig haben herausgefunden, dass Hunde sehr genau wahrnehmen, ob sie beobachtet werden und aufgrund dessen entscheiden, ob sie sich an Regeln halten oder nicht. Umgekehrt betteln Hunde zumeist nur dann am Tisch, wenn sie Aufmerksamkeit bekommen. Wahrscheinlich haben sie gelernt, dass wir nur reagieren, wenn wir sie ansehen. Bei Geizhälsen versuchen sie es übrigens gar nicht erst. Das wäre Zeit- und Energieverschwendung!
Agent auf leisen Pfoten
Hunden ist nicht nur bewusst, wann wir sie sehen, sondern auch wann wir sie hören können. Das hat Shannon Kundey vom Hood College in Maryland mit ihren Kollegen in einem Experiment nachgewiesen. Sie versteckte Futterstückchen in zwei verschiedenen Containern. Das Verstecken in dem einen Container erzeugte ein deutlich vernehmbares Geräusch, der andere nahm das Futter lautlos auf. Dann verbot der Versuchsleiter, den Testhunden an das Leckerchen heranzugehen. Hielt er anschließend die Hunde im Blick, akzeptierten sie das Verbot oder schlichen vorsichtig zu dem lautlosen Container. Hunde, die nicht angesehen und dadurch kontrolliert wurden, wählten alle das stille Versteck und klauten die verbotene Leckerei.
Es liegt wohl in der Natur von Säugetieren zu tricksen, zu täuschen und Futter zu klauen. Das gehört zum Leben in der Sippe scheinbar dazu. Und war und ist bei uns Menschen auch nicht anders. Eine erfolgversprechende Strategie, denn in der Regel sind es nicht die Zurückhaltenden und Verständnisvollen die vorwärts kommen, sondern die, die sich durchsetzen und sich nehmen, was sie wollen. Die Welt ist ein Haifischbecken.
Bei der Beurteilung unseres Wahrnehmungsvermögens gehen Hunde von ihren eigenen Fähigkeiten aus. Sie wissen, dass wir die Dinge ähnlich wie sie wahrnehmen und „verhundlichen“ uns deshalb. Das können nicht einmal unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen. Diese Fähigkeit muss also durch das enge Zusammenleben mit dem Menschen entstanden sein. Sie können einschätzen, wie wir Dinge und Situationen beurteilen und sie sind in der Lage, Absichten und Täuschungen zu durchschauen, aber auch einzusetzen.
Ihre Fähigkeiten setzen sie ebenfalls ein, wenn sie ein Problem nicht alleine lösen können. Sie bitten den Menschen gezielt um Hilfe. Ádám Miklósi hat in einem Experiment Spielzeug oder Futter für Hunde unerreichbar platziert. Als dann der Besitzer dazu kam, versuchten die Hunde sofort seine Aufmerksamkeit auf das Ziel ihres Begehrens zu lenken. Sie suchten Blickkontakt und liefen zwischen ihrem Menschen und dem Ersehnten hin und her. Heute geht man davon aus, dass die Suche nach dem Blickkontakt während der Domestikation entstanden und wahrscheinlich die Grundlage für die Mensch-Hund-Kommunikation ist.
Dass Hunde hervorragend unsere Gesten und Signale deuten können, muss man Hundesportlern nicht erklären. Trotzdem ist das Ergebnis von Ádám Miklósis „Bechertest“, bei dem er seinen tierischen „Testkandidaten“ durch deuten mit dem Zeigefinger auf einen Becher signalisierte, wo eine Leckerei versteckt war, faszinierend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass weder Schimpansen noch Wölfe etwas mit dem Fingerzeig des Menschen anfangen konnten. Kleinkinder, Hunde und sogar bereits Welpen nahmen den Tipp hingegen dankend an und entschieden sich so für den richtigen Becher. Selbst eine kurze Zeigegeste mit dem Fuß oder ein flüchtiger Blick des Menschen zum Becher reichte den Hunden aus, um das Signal richtig zu interpretieren. Diese enorme Beobachtungsgabe und das weitreichende Interpretationsvermögen sind Ergebnisse der Domestikation. Hunde kommunizieren nicht nur durch Blicke mit uns, sie sind auch Meister im Analysieren unserer Gestik und Mimik.
Das ist auch vielen Hundesportlern bewusst und sie nutzen diese Möglichkeiten in der Ausbildung oder beim Führen auf einer Prüfung. So kann man zum Beispiel trainieren, gemeinsam zum Holz zu schauen, bevor der Hund zum Apport geschickt wird. Er kann deshalb schneller und gezielter zum Holz laufen und es besser aufnehmen, als wenn er mit Blickkontakt zum Hundeführer, wie man es oft sieht, losgeschickt wird und sich dann erst unterwegs orientieren kann. Am Ende sind es die Kleinigkeiten, die eine sehr gute Arbeit von einer exzellenten unterscheidet. Aber das nur nebenbei …
Von sozial intelligenten Tieren wie Schimpansen oder auch Rabenvögeln ist bekannt, dass sie die Blicke ihrer Artgenossen verfolgen und daraus Informationen gewinnen, an was derjenige gerade interessiert ist. Eine wichtige Voraussetzung dafür, über die Absichten oder Wünsche anderer zu spekulieren. Und die Voraussetzung, um Täuschung einsetzen zu können. Mein Schäferhund „Gonzo vom Haus Kastma“ hatte diese Disziplin im fortgeschrittenen Alter zur Meisterschaft gebracht. Er war ein sehr verspielter Rüde und hätte am liebsten den ganzen Tag einen Ball mit sich herumgetragen. Wenn ihm z. B. im Urlaub am Hundestrand an der Ostsee langweilig wurde, suchte er gezielt nach Hunden, die ein Spielzeug dabei hatten. Zu ihnen ging er dann, begrüßte sie freundlich und wenn sie ihr Spieli fallen ließen, um ihn zu beschnuppern, schnappte er es sich und lief damit davon. Hätte er ihnen die ausgestreckte Mittelzehe seiner Pfote zeigen können, hätte er es vermutlich nach erfolgreichem Clou getan. So einen Spaß hatte er daran!
Man muss das Rad nicht neu erfinden: wie Hunde beobachten, abkupfern und sich Dinge zu eigen machen!
Hunde haben gelernt, dass für sie alles von Interesse sein kann, was die Aufmerksamkeit des Menschen erregt. Die Vermutung liegt also nahe, dass sie versuchen, durch Imitation zu lernen – und zwar nicht nur durch das Imitieren ihrer Artgenossen, sondern auch indem sie unser Handeln nachahmen. Ádám Miklósi hat in mehreren Experimenten untersucht, wie Hunde ihre Beobachtungen von menschlichem Verhalten zur Lösung von Problemen nutzen. Ein berühmter Test ist der Zaun-Versuch. Hierzu wurde ein Zaun in Form eines „V“ aufgestellt und in die Spitze ein Spielzeug oder Futterstück gelegt. Den Hunden im Test wurde die Gelegenheit gegeben, einen Menschen dabei zu beobachten, wie er um den Zaun herumlief und sich so die „Belohnung“ sicherte. Anschließend sollten die Hunde selbst die Aufgabe lösen. Das gelang ihnen sehr schnell, indem sie das Verhalten des Menschen imitierten. Vor allem aber waren sie wesentlich schneller erfolgreich, als die Vergleichsgruppe, denen man nicht die Möglichkeit gab, am menschlichen Vorbild zu lernen.
Sporthunde sind pfiffiger
Hunde, die Rassen angehören, die schon seit langer Zeit auf Zusammenarbeit und Kooperation mit dem Menschen selektiert werden, sind bei solchen Aufgaben übrigens erfolgreicher als sehr eigenständige Rassen wie zum Beispiel Herdenschutzhunde. Aber auch ihre „Vorbildung“ spielt eine Rolle. Emanuela Prato-Previde (Uni Parma, Italien, 2008) hat herausgefunden, dass ein gutes Training nicht nur zu gehorsamen, sondern auch zu pfiffigen Tieren führen kann. Hunde, die im Agility, Mantrailing, Schutzdienst oder in der Jagd ausgebildet waren, verbrachten viel mehr Zeit mit dem Entschlüsseln von Kniffs und Rätseln und kamen schneller zur Lösung, als „ungebildete“ Vergleichshunde.
Zu welch erstaunlichen Leistungen Hunde fähig sind, wird uns auch in den Medien hin und wieder vorgeführt. Wer erinnert sich noch an „Wetten dass…“? Ja, die guten alten Zeiten, als der Samstagabend noch Thomas Gottschalk gehörte … Da staunte Deutschland über einen besonders cleveren Border Collie. „Rico“ konnte 77 Spielzeuge auf Kommando bringen und somit voneinander unterscheiden. Wie funktionierte das?
Nach dem Ausschlussprinzip!
Wenn Rico „die gelbe Ente" und „die blaue Maus“ bereits kannte, war er in der Lage durch das Ausschlussprinzip zu lernen, dass „die grüne Schlange“, dann das ihm unbekannte Stofftier sein musste. Auf diese Art und Weise lernte er, immer mehr Spielzeuge zu unterscheiden. Amerikanische Wissenschaftler haben dieses Prinzip des Lernens ausgereizt und ein erstaunliches Ergebnis erzielt. Es gelang ihnen, die Border Collie Hündin „Chaser“ in einem intensiven, dreijährigen Training so gut auszubilden, dass sie über 1.000 Gegenstände unterscheiden und sogar Kategorien wie „Spielzeug“, „Ball“ oder „Frisbee“ zuordnen konnte (Pilley & Reid, 2010).
Von wegen „Dummer Hund“
Selten liegt eine Redensart so dermaßen daneben, wie in diesem Fall. „Dummer Mensch“, der einem Hund keine – umgangssprachlich ausgedrückt – „intelligenten“ Leistungen zutraut.
Der Begriff Intelligenz ist dabei aus wissenschaftlicher Sicht ausschließlich auf den Menschen beschränkt!
Ging man noch vor gar nicht allzu langer Zeit davon aus, dass ein Hund lediglich Trieb- und Instinktgesteuert ist, so liefern heutzutage viele Wissenschaftler gegenteilige Forschungsergebnisse.
Hunde sind Meister im Ausspionieren der menschlichen Lebensgewohnheiten. Sie beobachten und studieren uns und ziehen ihre Schlüsse daraus. So wissen unsere vierbeinigen Meisterspione sehr oft, was als nächstes passieren wird und geben uns dadurch das Gefühl, dass sie uns „ganz ohne Worte“ verstehen. Aber unter uns … Ich glaube, das ist nur ein besonders ausgeklügelter Trick, um ihre wahre Identität als Geheimagenten der „Smart Dogs Intelligence Agency“ vor uns zu verbergen.
Quellen:
Forschung trifft Hund – Udo Ganzloßer, Kate Kitchenham, 2012
Der Hund – Erik Zimen, 6. Auflage, 1992
Hundepsychologie – Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen