Die "Ballschafe" müssen zum "Schäfer"
Treibball soll ursprüngliches Hüteverlangen befriedigen
Aus der Sicht einer Drohne sieht´s wahrscheinlich aus wie ein riesiges Billardfeld. Die Kugeln liegen zum Anstoß bereit. Vera schickt aus der Torzone ihre Kiss los. Sie dirigiert den Border Collie nur mit der Stimme und der Körpersprache. Die Hündin nimmt alle Signale sicher an und postiert sich genau hinter der Kugel 1. Eine Sekunde verharrt sie, dann kommt das Signal „Schieben“ und schon geht’s ab. Quer über den Platz, zielsicher ins Tor.
Das Spielfeld
Das mit Banden abgegrenzte Spielfeld ist 15 x 30 Meter groß, das Tor an der Stirnseite drei Meter breit. Für den schnellen Vergleich: ein Fußballfeld ist 68 x 105 Meter, das Tor 7,32 x 2,44 Meter. Also im Verhältnis ist das Tor für den Hund etwas größer, aber das sind die Bälle ja auch. Dass das Spielfeld möglichst eben ist, erklärt sich von selbst. Ein Gefälle vom Tor weg darf höchstens 3% betragen, sonst könnte das ziemlich frustrierend und demotivierend für den Treiber sein. In unserem Fall ist das Kiss, die in der höchsten Leistungsstufe startet. Die Siebenjährige ist auch im Obedience ausgebildet und geprüft, hat im THS Vierkampf 2 Turniere gelaufen und „betreibt“ auch noch Hoopers. Ganz schön fit also, zudem ein Multitalent, ein Arbeitstier. Border eben. Es macht Spaß, ihrer Begeisterung zuzuschauen.
Aber worum geht’s eigentlich?
Die meisten Hunde der unterschiedlichsten Rassen werden heute in der Gesellschaft außerhalb ihrer eigentlichen Züchtungsaufgabe gehalten. Der gemeine Familienhund hat schon längst keine echten Wach-, Jagd-, Hüte- oder Schutzaufgaben mehr. Die genetischen Anlagen sind aber trotzdem da, fixiert, nicht einfach löschbar. Jedem Hundehalter sollte das vor der Anschaffung eines Hundes klar sein. Die daraus resultierende ethische Verpflichtung, seinen Hund zu erziehen und auszulasten, kann durch Hundesport sinnvoll erreicht werden.
Treibball ist eine Erfindung, die ursprünglich das Hüteverlangen befriedigen sollte. Jedem Hütehund, dessen Halter die eigene Schafherde im Garten fehlt, wird diese durch Bälle simuliert. Treibball ist also im Grunde ein Hütespiel. „Arbeitslose“ Familienhunde finden in diesem Sport ideale Auslastung und ganz nebenbei wird der natürliche Jagd- und/oder Hütetrieb kontrollierbar gemacht. Das macht die Hundesportart auch für jeden Nicht-Hütehund interessant, denn es geht nicht nur um sinnloses Bälletreiben, sondern vielmehr um Kommunikation und Zusammenarbeit mit seinem Menschen.
Wer hat´s erfunden?
Auf jeden Fall kein Schweizer. Treibball stammt aus der Feder von Jan Nijboer, einem niederländischen Kynologen, dessen Intention die Wissensvermittlung an die Hundehalter ist, wie sie den artspezifischen Bedürfnissen des Hundes gerecht werden können. Er suchte Lösungsansätze, natürliches, angeborenes Instinktverhalten in gesellschaftlich akzeptable Formen zu lenken. Und ein Zusammenleben kann nämlich nur stressfrei sein, wenn wichtige Kernelemente wie Impulskontrolle und Frustrationstoleranz klar definiert sind und vor allem auch die Kommunikation auf Distanz beherrscht wird.
Damit wird klar, dass Treibball sich natürlich für Hütehunde besonders anbietet, aber Jan Nijboer auch auf die Eignung für Hunde jeder Rasse und Größe Wert legte. Auch ein Dackelbesitzer soll mit einem Treibball-Training noch andere tolle Trainingseffekte erreichen. Abbruchsignale werden vermittelt und Treibball ist also auch eine Art Anti-Jagdtraining.
Hundesport im Allgemeinen trägt zur artgerechten Haltung bei.
Im Treibball können auch betagte oder körperlich beeinträchtigte Vierbeiner ihrer Kondition und den Möglichkeiten entsprechend, artgerecht ausgelastet werden.
Wie funktioniert´s denn jetzt?
Na, ganz einfach: der “Treibballer” treibt die „Ball-Schafe“ zu seinem Schäfer. Es gibt je nach Prüfungsstufe drei bis acht nummerierte Bälle, die auf Zuruf in aufsteigender Reihenfolge vom Hund in ein Tor befördert werden müssen.
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht, denn natürlich gibt es noch Regeln, die mit aufsteigender Leistungsklasse auch natürlich anspruchsvoller werden. Alle Regeln sind momentan noch leicht differenziert in den Prüfungsordnungen des dhv und DVG festgeschrieben. Eine einheitliche VDH-PO ist in Vorbereitung. Ich werde mich hier an die dhv-Variante halten, die seit Oktober 2020 Gültigkeit hat. Dazu habe ich mich mit Vera Mayer getroffen, die den Sport schon länger ausübt und auch Wertungsrichterin ist. Die Nürnbergerin erklärt, dass es bei einer Prüfung zwei verschiedene Läufe gibt, die in eine Turnierwertung eingehen. Im Lauf 1 gibt es immer eine festgelegte Anordnung der Bälle. Siehe dazu die Startaufstellungen auf der Vorseite.
Ab der Leistungsklasse 1 wird die Formation der Bälle im Lauf 2 vom Richter festgelegt, wobei diese über das Spielfeld verteilt sein können und in der höchsten Klasse 3, wie die Tabelle 1 zeigt, für die Maxi-Hunde auch bis zu 20 Meter auseinander liegen dürfen. Wie herausfordernd das sein kann, zeigt Grafik 1.
Die Position des Hundeführers bleibt während des Spielverlaufs im Tor. Ein Verlassen ist fehlerhaft. Weitere Fehler machen die Komplexität des Spiels deutlich:
- Anschieben der Bälle in falscher Reihenfolge,
- falscher Ball ins Tor,
- Anschieben ohne Kommando beim 1. Ball
- Bandenberührung
Und dann geht’s auch noch um Zeit. Sechs Minuten können schneller vorbei sein, als man denkt. Ist die Laufzeit langsamer als die Standardzeit, gibt es Zeitpunkte, die sich ähnlich wie im Agility, negativ auf das Teamkonto auswirken. Nur die Senioren dürfen solange treiben wie sie wollen.
Die Hunde arbeiten nur durch Kommunikation mit akustischen und visuellen Kommandos. Andere Hilfe ist nicht erlaubt. Teamarbeit auf großer Distanz erfordert neben dem guten Grundgehorsam, viel Zeit und Ausdauer. Der Hund muss hinter dem Ball 1 mindestens eine Sekunde verharren. Das erfordert Impulskontrolle. Wie er dann auf das Kommando treibt, ist egal. Jeder Hund hat seine eigene Technik. Kiss treibt mit der Schulter wechselseitig mal rechts, mal links neben dem Ball, um diesen entsprechend der Richtungsvorgabe zu lenken. Da Bandenberührungen unerwünscht sind, muss der Hund selbstständig „denken“ und auch auf Signale lenkend oder auch stoppend reagieren.
Was sagt die Prüfungsordnung?
Da Treibball im VDH bezüglich Rasse und Größe keine Beschränkungen hat, müssen ein paar Eckdaten her, die zwischen groß und klein unterscheiden. So kann grundsätzlich jeder Hundeführer seine eigene Ballgröße wählen, allerdings darf diese maximal fünf Zentimeter unter der Widerristhöhe des Hundes liegen. In den drei Größenklassen, ähnlich zum Agility, gelten auch zusätzlich unterschiedliche Abstandsregeln für die Positionierung der Bälle untereinander und zum Tor.
Es gibt fünf Leistungsklassen. Ein Aufstieg in die nächsthöhere ist von dem erreichten Prädikat und der Platzierung eines Turniers abhängig. Erreicht das Team ein „Vorzüglich“, darf es aufsteigen. Nach einem „Vorzüglich“ und dreimaliger Podestplatzierung mit dem Prädikat „Vorzüglich“ muss es aufsteigen.
Wie man die Prädikate erreicht und alle anderen Regeln kann man in der dhv-Prüfungsordnung nachlesen.
Unsere Expertin Vera Mayer
Vera ist mit Hunden aufgewachsen. Schon als Kind hat sie die Entstehung und Entwicklung von neuem Leben fasziniert. Mit 18 Jahren begann sie ihre Bobtailzucht im VDH, ihr letzter Wurf ist acht Wochen alt. Auch ihre beiden aktuellen Sporthunde sind selbstgezüchtet. Ihre Border Collie-Zucht „BC aus der Alten Noris“ gibt es seit 2003. Der ersten Kontakt zum Hundesport hatte sie schon 12 Jahre früher, als sie ihren Vater mit seinem Deutschen Schäferhund zum Hundeverein begleitete. Seitdem ist sie dem Hundesport verfallen, ist im Agility in der A3 gelaufen, hat mit einem Bobtail die IGP3 bestanden, ist im THS und Obedience auf der Deutschen Meisterschaft gestartet und hat auch Stöberprüfungen abgelegt. Und da steht noch viel auf ihrem Programm und es gibt noch viele Ziele, die sie erreichen möchte.
Und zum Schluss sei noch gesagt, dass die Zahl der Interessierten an diesem Sport steigend ist. Auch Vera hat schon ihren zweiten Border in der Ausbildung. Die junge Sky treibt „ihre Schafe“ schon hoch motiviert und zielsicher zu ihrer „Schäferin“.↑