Warst schon mal verliebt? Erinnerst du dich an das Gefühl der Euphorie? Wie du strahlend durch die Welt liefst, kaum essen konntest, zu einem vernünftigen Gespräch nicht in der Lage warst, dafür aber vor Energie fast geplatzt bist? Du hast deinen Körper noch nie in diesem Ausnahmezustand erlebt? Dann wirst du auch nie einen jagenden Hund verstehen.
Im Rausch
Jedes Mal, wenn du versuchst deine beste Freundin anzurufen, antwortet sie mit hoffnungsvoller Stimme. Doch sie erwartet nicht deinen Anruf, sondern den eines anderen Menschen. Sobald klar ist, dass es „nur“ du bist, schleicht sich eine kaum verhohlene Enttäuschung in ihre Stimme. Deine Freundin ist verliebt, ihr Fokus liegt jetzt ganz woanders. Essengehen mit ihr ist ein Ding der Unmöglichkeit, sie bekommt keinen Bissen herunter. Themen, die sich nicht um den von ihr begehrten Menschen drehen, sind völlig uninteressant. Gemeinsame Pläne spielen keine Rolle mehr. Zu keinem klaren Gedanken fähig, zu keiner Arbeit in der Lage, wartet sie nur auf den Moment, ihn wiederzusehen.
Vorübergehende Verrücktheit
Genau das ist es, was passiert, wenn Menschen sich verlieben. Eine italienische Psychologin beschrieb das Verliebtsein einst als eine Form von „vorübergehender Verrücktheit“. Beim Anblick des geliebten Objekts weiten sich die Pupillen, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt. Schuld daran sind Hormone, in erster Linie der Botenstoff Dopamin. In den Hirnregionen, in denen die Motivations- und Belohnungszentren liegen, steigt der Spiegel des Dopamins stark an. Bedürfnisse wie Hunger, Durst oder Schlaf werden unterdrückt. Kein Wunder, dass manche Wissenschaftler die Ansicht vertreten, „verliebte Menschen sollten krankgeschrieben werden“, weil sie nicht mehr in der Lage sind, ihren Job ordentlich zu erledigen.
Hormoncocktail mit Suchtgefahr
Und jetzt stelle dir deinen Hund vor, der gerade jagt. Taub für dein Gebrüll, Gepfeife oder andere Versuche ihn zu stoppen, rast er über das Feld, weil er am Waldrand ein Reh gesichtet hat. Dabei hast du doch alles gegeben: besser als jeder Windhund scannst du die Umgebung ein und lauschst auf jedes Knacken im Unterholz. An Stellen, an denen dir schon einmal Wild über den Weg gelaufen ist, versuchst du über immer neue Suchspiele den Hund abzulenken. Du rufst ihn häufig mit einem lockeren „Hier“ heran, um es nicht nur dann zu tun, wenn es eine schwierige Situation gibt. Das mit der Schleppleine hast du bereits aufgegeben, weil du dich vom letzten Jagdversuch deines Hundes körperlich noch nicht vollständig erholt hast. Und dann kommt es doch: das Reh - und aus deinem „Hier“ wird ein hektisches „HIIIIIIER“, woraufhin dein Hund direkt den Kopf hochreißt und beim Erblicken des Rehs auch schon loshetzt. Die Disc-Scheiben in deiner zitternden Hand erzielen diesmal sogar einen Körpertreffer. Doch als wäre er aus Stahl, prallen die Scheiben am Hund ab. Selbst die sonst so geliebte Fleischwurst, für die er normalerweise alles tut, hältst du jetzt wie eine abgewiesene Einladung in deiner Hand. Er hat sich entschieden: gegen die Wurst, für das Reh. Während du noch darüber nachdenkst, was für ein treuloses Tier du seit Jahren durchfütterst, dich ärgerst, dass wir in Deutschland viel zu viel Wild haben, wütend am Wegesrand stehst und dir schwörst, ihn ab morgen (sollte er denn wiederkommen) nicht mehr abzuleinen, passiert im Körper deines Hundes etwas ganz anderes. Etwas, das dem Verliebtsein des Menschen sehr ähnelt. Auch bei ihm wird ein Hormoncocktail ausgeschüttet, der Suchtgefahr beinhaltet.
Unerreichbar dank Dopamin
Dieser Cocktail, bei dem auch wieder das Dopamin eine entscheidende Rolle spielt, bewirkt ein Hochgefühl und körpereigene Opiate machen dabei schmerzunempfindlich. Es ist ein Feuerwerk der Hormone und lässt den Hund wie besessen erscheinen. Der Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, durch die Vergrößerung des Lungenvolumens und durch die starke Durchblutung wird der Körper mit ausreichend Sauerstoff versorgt, um die maximale Leistungsfähigkeit zu erreichen. Nichts anderes mehr wahrnehmend, erinnert selbst der Blick an den eines Verliebten.
Unterschiedlicher können die Empfindungen zwischen Hund und Halter in diesem Moment nicht sein: der eine im Taumel der Glückseligkeit, der andere voller Sorge. Denn du wartest ja noch immer, er ist mittlerweile außer Sicht und ausgerechnet jetzt hörst du einen Schuss und das Quietschen von Autoreifen. Von dieser Sorge getrieben, sendest du wie ein Radargerät alle dreißig Sekunden ein „Hier“ als Information für den Hund, dass du noch da bist. Falls er überhaupt irgendetwas hört, kann er sich sicher also sein, dass du auf ihn wartest. Einfach ins Auto steigen und wegfahren wäre sicherlich sinnvoller, wenn da nicht die Straßen wären und die Angst, dass ihm etwas passieren könnte.
Menschen sind schlechte Jagdbegleiter
Minuten vergehen (gefühlt sind es Stunden) und dann siehst du ihn: abgekämpft trabt er auf dich zu, während du eine schnelle Gefühlswandlung durchlebst. Die Sorge weicht der Erleichterung, direkt gefolgt von Wut. Leider sind Hunde, neben ihren jagdlichen Fähigkeiten, sehr talentiert im Deuten menschlicher Körpersprache. Ihre hervorspringende Halsschlagader erkennt dein Hund auf mindestens fünfzehn Meter und antwortet mit Demutsverhalten. Auf den Brustwarzen kriechend und mit angelegten Ohren kommt er auf dich zu. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, er wüsste, dass er etwas falsch gemacht hat. Eigentlich ist es aber nur ein Indiz dafür, dass er sich nicht mehr im Jagen befindet, zur normalen Kommunikation fähig ist und dadurch deine drohenden Signale richtig interpretiert. Ansonsten würde er wild hechelnd und mit leicht irrem Blick auf dich zu und dann an dir vorbeilaufen, um weiterzujagen. Du konzentrierst dich ein letztes Mal und zwingst dich die mittlerweile übelriechende Fleischwurst aus der Tasche zu ziehen, mit zusammengepressten Zähne quetschst du ein „So ist fein“ heraus und belohnst ihn für sein Zurückkommen. Warum auch immer, schließlich ist er erst gekommen, als er fertig war und das nur, weil er nicht allein im Wald leben möchte. Du wunderst dich, warum er dir das immer wieder antut. Er fragt sich, warum du sein Hobby nicht teilst.
Nicht nur eine Frage der Erziehung
Eventuell hast du trotz aller Wut auch Verständnis für deinen jagenden Hund. Schließlich jagt er nicht, um dich zu ärgern oder weil er dich nicht ernst nimmt. Jagen ist nicht unbedingt ein soziales Problem und lässt auch keine Rückschlüsse auf die Erziehung zu. Da können Hunde noch so gut im Alltag kooperieren, stundenlang vor dem Supermarkt ohne Leine liegen und warten, zuhause unauffällig und ruhig sein, mit Kindern lieb und auf dem Agility-Platz ein As sein: wenn eine jagdliche Situation entsteht, läuft bei manchen Vierbeinern das genetisch fixierte Programm ab. Hormongesteuert sind sie gar nicht in der Lage, anders zu reagieren.
Wissenschaftlich lässt sich das ganz einfach erklären. Der körpereigene Cocktail versetzt den Hund in eine geradezu zwanghafte Situation, hinterherhetzen zu müssen und belohnt ihn mit einem rauschähnlichen Zustand. Aber man muss gar nicht einmal die Wissenschaft bemühen, um das Verhalten ihres Hundes zu erklären. Manchmal reicht es auch, einem von der Hatz gerade zurückkehrenden Hund ins Gesicht zu schauen. Dieser Ausdruck in den Augen, die langgezogenen Mundwinkel: das pure Glück schäumt dir da entgegen.
Auf der Jagd
Vielleicht hast du ja schon ein- oder zweimal die Chance, das Reh früher als dein Hund zu sehen, ihn anzuleinen und damit das Schlimmste zu verhindern. Doch das hechelnde Wesen am anderen Ende der Leine dann noch dazu zu bringen, sich auf dich zu konzentrieren und das Wild keines Blickes zu würdigen, ist eine ganz andere Sache. Denn wenn ihn die Hormone schon durchströmen, dann ist er für Ihre Anliegen kaum noch zugänglich. Oder hast du mal versucht, einen verliebten Menschen von der Notwendigkeit einer nur dreitägigen Reise zu überzeugen, die ihn oder sie vierhundert Kilometer weg vom geliebten Objekt führen würde? Keines ihrer Argumente, die teuren Stornokosten, die Vorfreude, die man monatelang über das bald anstehende verlängerte Wochenende teilte, der Hinweis auf die Freundschaft, die bei einer Absage schwer geschädigt werden würde… Nichts wird den von Dopamin durchfluteten Menschen dazu bringen, doch noch mitzufahren. Nicht einmal, wenn noch gar nicht klar ist, dass das ganze ein glückliches Ende nehmen wird, der oder die Verliebte möglicherweise drei Tage unverrichteter Dinge nur seine leere Mailbox abhören kann, nichts wird ihn von der Nähe des begehrten Menschen entfernen. Und nun erklärst du deinem Hund mal, dass das mit dem Reh keine gute Idee ist. Dass es im Falle einer Hatz zwei Tage kein Futter und fünf Tage keinen langen Spaziergang mehr gibt. All das wird ihn nicht vom Jagen abhalten. Er kann nicht anders, er ist auf der Jagd, nicht nach Nahrung, sondern nach dem großen Gefühl. So wie wir alle.
Leidenschaft lässt sich nicht abstellen
Das ist der Grund dafür, dass die meisten Erziehungs- und Unterbrechungsmethoden bei einem jagenden Hund nicht dazu führen, dass er nicht mehr jagen will. Du kannst niemandem ausreden, verliebt zu sein. Denn es ist keine vom Verstand zu steuernde Entscheidung, die da gefallen ist. Wir kriegen das Jagdverhalten nicht aus einem Hund heraus, schließlich haben wir es auch nicht hineingetan. Was bleibt, klingt nüchtern: Jagdverhalten lässt sich allenfalls kontrollieren, aber der Wunsch danach nicht abstellen. Realistisch ist der Anspruch auf Kontrolle über das Jagdverhalten, also ein lebenslanger Reibungsprozess mit dem Hund. Es wird ein Kampf gegen seine Genetik und gegen die Hormone bleiben. Und gerade die werden es Ihnen nichtleicht machen, mit einem Ruf noch in den Kopf Ihres Hundes zu kommen. Dazu gehört einiges an Vorarbeit, das Trainieren in realistischen Situationen und ein gutes Timing. Deshalb ein letzter Tipp: Wenn du gerade selbst verliebt bist, lasse deinen jagenden Hund besser an der Leine. Es sei denn, du hast es auf den Förster abgesehen.
Jagdverhalten ist etwas Normales
Unerwünschtes Jagdverhalten macht vielen Hundebesitzern zu schaffen. Wovon es abhängt, ob und wie vehement ein Hund jagt und was es zu bedenken gibt, um das Jagdverhalten kontrollierbar zu machen, wird im Folgenden erläutert.
Grundsätzlich wäre es schön, wenn Menschen das Jagen als Teil des hundlichen Verhaltens akzeptieren würden. Das heißt nicht, dass sie es zulassen sollen. Der Mensch ist und bleibt natürlich in der Verantwortung, den jagenden Hund so gut wie möglich an seinem Vorhaben zu hindern bzw. das Jagdverhalten kontrollierbar zu machen. Jagdverhalten an sich ist etwas vollkommen „Normales“, darf aber nicht ausufern. Der Schutz von Wildtieren, die Gefahr von Straßen oder die Möglichkeit, dass der Hund erschossen werden kann, erfordert einen handlungsfähigen Hundebesitzer.
Die Ausprägung des Jagdverhaltens hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend ist die Genetik des Hundes, seine rassespezifischen Besonderheiten, seine Erfahrungen im Jagen, sein jagdliches Angebot, seine Art zu jagen, seine persönliche Frustrationstoleranz und damit auch seine Erziehung bzw. die Handlungsmöglichkeit seines Menschen.
Hunde sind genetisch gesehen Jäger. Anders als bei Wölfen, dient das Jagen bei Hunden nicht unbedingt dem Nahrungserwerb. Man kann das Jagen in sieben Sequenzen unterteilen: Orten, Fixieren, Anpirschen, Hetzen, Packen, Töten, Fressen. In dieser Reihenfolge wäre Jagen bei Wildcaniden wie z.B. dem Wolf zu beobachten. Bei Hunden haben wir jedoch genetische Veränderungen durch die Zucht hervorgebracht. Es wurde bestimmte Jagdsequenzen in den Vordergrund gezüchtet, andere sind stark überlagert oder kommen gar nicht mehr vor. So wurde zum Beispiel bei Huskies das Hetzen, bei Terriern das Packen und Töten und bei Treibhunde wie dem Border Collie das Fixieren manifestiert. Dies hat die jeweilige Arbeit mit den Hunden erleichtert. Die Ambition zu jagen und auch die Bewegungsmuster sind bis heute rassespezifisch (wie die Tabelle zeigt).
Rassetypische Bewegungsmuster im Jagdverhalten (nach Ray Coppinger)
Wolf | Orten > | Fixieren > | Anpirschen > | Hetzen > | Packen > | Töten |
Border Collie | Orten > | Fixieren > | Anpirschen > | Hetzen | (Packen) | (Töten) |
Cattle Dog | Orten > | Fixieren | Anpirschen | Hetzen > | Packen | (Töten) |
Jagdhund | Orten > | (Fixieren) | Anzeigen > | Hetzen > | Packen > | Töten |
Pointer | Orten > | Fixieren | (Anpirschen) | (Hetzen) | Packen | (Töten) |
Retriever | Orten > | Fixieren | Anpirschen | Hetzen | Packen | (Töten) |
> = miteinander verbundene Bewegungsmuster / fett = hypertrophiertes (in den Vordergrund gezüchtetes) Verhaltenselement / ( ) = fehlendes Verhaltenselement
Alle Hunde sind Jäger
Es gibt kaum eine Hunderasse von der man behaupten könnte, sie würde auf keinen Fall jagen. Hat man wenig Lust auf jagdliche Auseinandersetzungen, sind Schoßhundrassen eine gute Wahl. Aber auch etwas „handfestere“ Hunde wie z.B. Tibet Terrier oder gar Neufundländer, machen selten durch exzessives Jagdverhalten auf sich aufmerksam. Das alles darf aber nicht heißen, dass man das Recht hat, z.B. einen Weimaraner oder Husky ein Leben lang an der Leine zu halten. Es bedeutet nur, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit, mehr in das Jagdverhalten eingegriffen werden muss - was sehr anstrengend sein kann. Die Wahl hat man vorher.
Gelegenheit macht Diebe
Die Häufigkeit der Jagdgelegenheiten ist entscheidend, wenn es um die Ausprägung der jagdlichen Motivation geht. Wer mit seinem Hund in der Stadt lebt und ihn dort in den Parks auch problemlos ableinen kann, der kann auf dem Land trotzdem ein „jagdliches Problem“ bekommen. Während der Hund nämlich im Stadtpark lediglich vereinzelt auf Kaninchen trifft, begreift er Wald, Feld und Flur schnell als Erlebnispark, wo ein Kick den anderen jagt. Umso häufiger er diesen Kick erlebt, also einen Jagderfolg hat, desto schwieriger ist es, das unerwünschte Jagdverhalten wieder unter Kontrolle zu bekommen. Und ein Jagderfolg ist nicht erst das Töten eines Tieres – bereits das Hetzen allein belohnt den Hund durch die Ausschüttung von Dopamin.
Die Art des Jagens
Es gibt Hunde, die reagieren erst beim Anblick eines flüchtenden Tieres und dann nur mit einer kurzen Hatz über eine Distanz von 50 Metern. Andere hingegen leint man ab und sie suchen sich den Reiz, scheuchen Wild im Unterholz auf und verfolgen es über Stunden. Beide Formen können als Jagdverhalten bezeichnet werden, die Trainingsmöglichkeiten sind jedoch völlig unterschiedlich.
Erziehung spielt eine Rolle
Erziehung kann der Gegenspieler schlechthin zu Genetik und Jagderfolgen sein. Den einen guten Tipp gibt es natürlich nicht, aber einige Überlegungen zur Vorarbeit. Die wichtigsten drei Dinge, die man einem Hund mit Jagdtalent vor der Konfrontation mit jagdlichen Reizen beibringen sollte sind: Einen Teil seiner Aufmerksamkeit immer beim Menschen zu haben, Frust ertragen zu können und dass der Rückruf nicht nur eine nette Einladung ist, sondern auch verbindlich. Das lässt sich toll üben. Versuche doch mal deinen Hund während des Fressens hochwertigen Futters vom Napf auf zehn Meter abzurufen oder mitten beim Hetzen eines Balls. Fahre in den Tierpark und bestehe darauf, dass sich dein Hund eine halbe Stunde an dir orientiert. Gehe zu seinem Lieblingshundeauslauf, statt ihn dort laufen zu lassen, leine ihn ab und sorgen dafür, dass er nicht von dir weggeht, trotz der Anwesenheit seiner Spielkameraden. Das hört sich vielleicht seltsam an, aber es ist der Beginn, in Konflikten zu trainieren, um zu prüfen, ob dein Hund sich an dir orientiert oder nicht und wie viel Aussagekraft Ihr Rückruf hat. Die Trainingssituationen sind zunächst ungefährlich und geben Aufschluss darüber, was du in einer jagdlichen Situation von deinem Hund erwarten darfst. Wenn solche Übungen funktionieren ist der nächste Schritt die Konfrontation mit Jagdreizen an der Leine, später dann ohne.