Zuggeschirre müssen nicht schön und trendig sein!

In den letzten fünf Jahren ist der Zughundesport in Mitteleuropa geradezu explodiert. Bis vor zehn Jahren gab es in Deutschland nur eine relativ kleine Szene von Zughundesportlern, die fast ausschließlich Schlittenhundesport betrieben. Dann schwappte aus Frankreich, den Beneluxstaaten und Skandinavien die Begeisterung für den Ein- und Zweihundesport nach Deutschland über und führte zu einem sprunghaften Anstieg der Mensch-Hunde-Teams, die Canicross, Bikejöring, Dogscooter und Skijöring betrieben. Dabei wurde die Szene immer bunter, denn außer den klassischen Zughunderassen fanden immer mehr lauffreudige Rasse- und Mischlingshunde den Weg in den Sport. Das stellte natürlich die Hersteller von Geschirren vor die Herausforderung, Material für die unterschiedlichsten Hunde bereitzustellen. 

Was der Laufschuh für den Läufer und der Sattel für das Pferd, ist das Geschirr für den Hund im Zughundesport. Und genauso schwierig wie es mitunter ist, den richtigen Schuh oder Sattel  zu finden, so ist auch die Auswahl eines optimal passenden Geschirrs eine knifflige Angelegenheit. In jedem Fall muss das Sportzubehör einer Prüfung im Ernstfall unterworfen werden, damit man sicher sein kann, dass es optimal sitzt und den Hund nicht bei der Arbeit behindert. Leider sieht man recht häufig Geschirre, die diese Anforderungen nicht erfüllen. 

Bei Hunden, die regelmäßig körperlich stark belastet werden, kann aber ein schlecht sitzendes Geschirr zu Schäden des Stütz- und Bewegungsapparates führen. 

 

Mirjam PlatzbeckerIm Folgenden soll ein kurzer Überblick über die beteiligten anatomischen Strukturen gegeben werden, die vom Geschirr unmittelbar beeinflusst werden. Zudem wird auf Störungen aufmerksam gemacht, die durch ein nicht optimal passendes oder fehlerhaftes Geschirr verursacht werden können. 

Ein häufig auftretendes und gut sichtbares Problem sind Scheuerstellen an Haut und Haar (Harnessbrand). Wenn Hunde häufig eingespannt werden, kann es an mechanisch stark beanspruchten Stellen zu Haarbruch und im weiteren zu wundgescheuerten Hautstellen kommen, vor allem wenn das Geschirr zu groß ist und sich deshalb mehr auf der Haut bewegt, als es eigentlich erforderlich ist. 

 

schlechte Sitz stört die Gesundheit

Ein zu kleines Geschirr kann durch Quetschen der Haut zu einer Schädigung führen. Begünstigt wird das auf Seiten des Hundes durch trockene oder vorgeschädigte Haut und sehr knappes oder sehr langes und/oder zu Verfilzung neigendes Fell. Auf Seiten des Geschirres sind harte Kanten, innenliegende Nähte, Materialdefekte, fehlende Polsterung oder eingetrockneter Schmutz begünstigend. Daher sollten Geschirre immer entsprechend vor dem Einsatz kontrolliert werden. Die Schäden am Stütz- und Bewegungsapparat des Hundes werden oft nicht oder erst spät bemerkt, weil die Vierbeiner viele Störungen lange und gut kompensieren können. Das geht allerdings zu Lasten ihrer Leistungsfähigkeit und vor allem ihres Wohlbefindens.

Der Hals und die Vorderbrust von Vierbeinern bestehen aus einer Vielzahl von Muskeln, die stabilisierend um die sieben Halswirbel angeordnet sind. Diese optimieren die Beweglichkeit und schützen empfindliche Organe, wie Schilddrüse, Luft- und Speiseröhre, die großen Nerven und die Blut- und Lymphgefäße des Halses. Das heißt, dass ein Geschirr einerseits eng am Hals anliegen muss, um nicht bei Bewegungen des Kopfes und Muskelkontraktionen störend zu verrutschen. Es darf aber auch nicht zu eng sein, damit keine Stauung der Gefäße oder Einengung der Luftröhre auftreten kann (Fotos 1 bis 3).

Auf die Halspartie folgt nach hinten der Schultergürtel und die Brustwirbelsäule mit 13 Brustwirbeln und ebenso vielen Rippen, die unten am Brustbein ansetzen und den knöchernen Brustkorb bilden. Das ist der heikelste Teil für den Sitz eines Geschirrs, weil dort zum einen die Hauptenergie für den Zug produziert wird und zum anderen die für die Vorwärtsbewegung komplexesten anatomischen Strukturen vorliegen. Schulter und Rippen sind sehr beweglich und müssen es auch sein, aber Brustwirbel und Sternum sind hingegen recht starr, um stabilen Schutz für empfindliche Organe wie Herz, Lunge, Mittelfell und Leber zu gewährleisten. Es darf also kein unnötiger Druck von außen auf diese Strukturen einwirken, weil es sonst zu Störungen der Beweglichkeit des Schulterblattes und des Schultergelenkes zum einen und der Atmung und Durchblutung zum anderen kommen kann. 

Der Schultergürtel bildet mit den beteiligten Muskeln einen Aufhängungsapparat, der die Vordergliedmaßen mit dem Rumpf verbindet (Synsarkose). Er besteht aus einem echten Gelenk, dem Buggelenk, zwischen Schulterblatt (Skapula) und Oberarmkopf, sowie einem unechten Gelenk zwischen Schulterblatt und seitlicher Brustwand, dem Skapulothorakalgelenk. Ein Schlüsselbein fehlt Vierbeinern, es gibt bei Hunden nur noch einen rückgebildeten Processus clavicularis, der funktionslos ist. Dieser

X-Back zu großAufhängemechanismus der Vorderläufe gewährleistet im Normalfall einen stabilen Halt der Vordergliedmaßen bei optimaler Bewegungsfreiheit und gleichzeitig eine Stoßdämpferfunktion in der Bewegung. Wird jetzt dieser Mechanismus gestört durch den Druck eines schlecht sitzenden Geschirrs, wird gleichzeitig die Dynamik der gesamten Vordergliedmaße beeinträchtigt (Fotos 3 und 4). 

 

 

Es ist dabei nicht nur wichtig, dass das Buggelenk völlige Bewegungsfreiheit hat, sondern es muss auch gewährleistet sein, dass das Schulterblatt sich in alle Richtungen frei bewegen kann. 

Denn gerade Einengungen im Bereich des Skapulothorakalgelenkes können nicht nur Bewegung, sondern auch Atmung einschränken und damit sowohl zu unsauberem Laufbild als auch zu einer Reduktion der Sauerstoffaufnahme in der Lunge führen.

Ein klammer Gang der Vorderhand führt dann häufig auch zu Blockaden der hinteren Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule, die dann durch eine suboptimale Federung vermehrt Stöße auffangen muss. Außer den knöchernen Strukturen können auch Muskeln, Sehnen und Faszien in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei Sporthunden kommt es besonders häufig zu Reizungen und Entzündungen an der Bicepssehne, die an der Vorderseite des Buggelenkes zum Oberarm zieht und die vor allem bei zu lockerem Sitz des Geschirrs durch permanentes Verrutschen irritiert werden kann. 

Der obere und der untere Schulterblattgrätenmuskel (Musculus supraspinatus/infraspinatus) kann durch permanente Reizung oder Druck von außen mit folgender Mangeldurchblutung in Mitleidenschaft gezogen werden. Das kann zu chronischen Entzündungen am Sehnenansatz des Muskels und zu Muskelkontrakturen führen, die dann eine erhebliche Bewegungseinschränkung der gesamten Vorderhand zur Folge haben, mit verkürzter Schrittlänge, steiferem Gang durch Reduktion der Fähigkeit der Muskulatur abzufedern und natürlich vor allem Schmerzen für den Hund.

Während die vorderen Bauchorgane Leber, Magen und Nieren noch im Schutz des Rippenbogens liegen, kann ein zu langes Geschirr Druck auf Milz, Darm und (volle) Blase ausüben. Dieser unerwünschte Druck auf die Bauchhöhle kann nicht nur zu einem Unwohlsein und Schmerzen führen, sondern auch zu einem relativen Blutmangel, wenn die Durchblutung von Milz und Darm beeinträchtigt wird.

Im harmlosen Fall führt das dazu, dass der Hund sich während des Laufens im Zug regelmäßig lösen muss, was im Rennen wertvolle Zeit kosten kann.  Aber auch abruptes Abbrechen im Lauf und Schwächeanfälle können auftreten. Zusätzlich kann es auch zu einer eingeschränkten Beweglichkeit des Zwerchfells kommen, so dass eine maximale Einatmung nicht möglich ist (Foto 4). Der Druck auf den Bauch kann auch direkte negative Einflüsse auf den Bewegungsapparat haben. Eine reflektorische vermehrte Spannung der Rückenmuskulatur im Bereich der hinteren Brustwirbelsäule und vor allem der Lendenwirbelsäule (im Extremfall Katzenbuckel), soll die Bauchhöhle schützen. 

Da die Lendenwirbelsäule, die wie die Halswirbelsäule aus sieben Wirbeln besteht, für die Beweglichkeit des hinteren Rumpfes und des Beckens mitverantwortlich ist, kann es dort zu Bewegungseinschränkungen kommen. Zu einem Aufziehen des Rückens kann auch die Verwendung von Kurzgeschirren führen, die dort enden, wo der ohnehin sensible Übergang von der Brustwirbelsäule zur Lendenwirbelsäule ist. Das passiert auch bei H-Backs, bei denen der querverlaufende H-Riemen in Bewegung unerwünschten Druck auf den Rücken (Lendenwirbelsäule, Kreuzbein und Ileosacralgelenk) auslöst (Foto 5). 

Bei Kurzgeschirren kann vor allem der in Bewegung hüpfende Karabiner der Zugleine die nach oben ragenden Dornfortsätze der Lendenwirbel reizen und eine Verkrampfung der Lendenmuskulatur verursachen. Deshalb sollten Zuggeschirre die gesamte Lendenwirbelsäule abdecken und erst im Bereich des hinteren Kreuzbeines vor dem Rutenansatz enden und die Zugkraft von dort aus auf die Zugleine übertragen (Foto 7).

Es ist schwierig, alle Faktoren, die bei der Einwirkung eines Zuggeschirres auf den Körper des vierbeinigen Athleten einwirken, in Kürze zusammenzufassen und dabei alle beteiligten anatomischen Strukturen zu erläutern. Es soll aber jedem Zughundesportler durch diesen kurzen Einblick die Verantwortung bei der Auswahl eines geeigneten Geschirrs bewusst gemacht werden. Bei der Anschaffung eines Geschirrs sind eine Anprobe und ein Testen unter fachkundiger Anleitung unerlässlich. Daher gehören Auswahl und Kauf ins Fachgeschäft. Das ist man seinem vierbeinigen Sportpartner schuldig.

so geht Canicross

 

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