Wir sind Dipfelischisser!
Wenn du bei dem Titel drei Fragezeichen in den Augen hast, dann können Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews sofort ausschließen, dass du aus Baden-Württemberg kommst. Und natürlich würden die drei Meisterdetektive schnell ausspionieren, dass Anne Eisemann Recht hat, wenn sie das über sich und Yannick Kayser in Bezug auf die Hundeausbildung behauptet. Dipfelischisser im allerbesten Sinn! Anne übersetzt den Begriff so: „Wir sind Detail-Junkies.“ Mir gefällt „detailverliebt“ besser und das sind die beiden im wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn das Alemannische origineller klingt. Und auch dieses Adjektiv trifft auf die beiden Protagonisten zu, denn sie gehen außergewöhnliche Wege beim Hundetraining und die Art, ihre Philosophie zu erklären, ist einzigartig. Einzigartig präzise, einzigartig analytisch und einzigartig durchdacht.
Beste Voraussetzungen also für die 16 Hund-Hundeführer-Gespanne an diesem Wochenende eine steile Lernkurve hinzulegen. Unter den Teilnehmern sind Hundesportneulinge, alte Hasen und Wiederholungstäter. Einige haben lange Anreisen, unter anderem aus der Schweiz, hinter sich gebracht, um beim Sporthund Praxistreff beim TSG Schlegel dabei sein zu können. Genauso vielfältig waren die Hunde, die Anne und Yannick vorgestellt wurden: Hollandse Herder, Deutscher Schäferhund, Malinois, Tervueren, Dobermann und Airedale Terrier. Manche noch sehr unerfahren, andere wurden auf die Qualifikation für eine Meisterschaft vorbereitet.
„Was auch toll war...“, berichtet Anne, „es sind zum Teil ganze Teams gekommen. Da war der Helfer am Tag vorher beim Helfer-Workshop und ist geblieben, um seine Hundeführer zu unterstützen. Das ist natürlich eine super Sache, wenn Helfer und Hundeführer dabei sind. Dann können sie die Arbeit zuhause perfekt fortführen.“
Und es schadet auch nicht, wenn ein Paar Ohren mehr zuhört, wenn Anne und Yannick in die Lerntheorie eintauchen und erklären.
Einsicht kommt über das Verstehen
„Das Wichtigste in der Hundeausbildung ist, dass der Hundeführer weiß, was er tut und was er beim Hund damit auslöst“, erklärt Anne. „Deshalb ist es so wichtig, zu schauen, wo man ihn abholen muss und ihm dann das nötige Wissen an die Hand zu geben. Man kann sich nicht verändern, wenn man nicht versteht, wodurch ein Problem entsteht und wie man es ändern kann.“
Da kann Yannick ihr nur beipflichten: „Der Job eines Trainers ist nicht zu sagen, mach das so und so. Der Job ist die Zusammenhänge zu erklären, so dass der Hundeführer sie versteht und dann eigenständig trainieren kann.“
Deshalb gibt es auch beim Workshop viel Theorie, allerdings ausschließlich in der Praxis und individuell auf Hund und Hundeführer abgestimmt.
„Unterordnung ist Detailarbeit“
Mit dieser prägnanten und einprägsamen Aussage, bringt Anne ihre Herangehensweise auf den Punkt. „Es geht nicht um die Übung im Gesamten. Man muss sie in kleine Details aufsplitten, die erst am Schluss zusammengesetzt werden, wenn jedes einzelne funktioniert. Der Hund muss – jedenfalls nach unserer Philosophie – verstehen, was er genau tun soll. Und er muss aktiv ein Verhalten ausführen, um etwas zu erreichen.“
Anne verdeutlicht das Ganze am Beispiel des Apportierens. „Apportieren ist sehr komplex. Deshalb teilen wir die Übung in viele Details auf. Der Hund muss das ruhige Halten lernen, er muss ein gescheites Vorsitzen können, dann muss er wissen, was „näher ran“ und „gerade“ beim Vorsitzen bedeuten und vieles mehr. Das kann man nicht alles mit dem Hörzeichen „Bring“ ausbilden. Wir haben deshalb für jedes wichtige Detail ein eigenes Hörzeichen, wie zum Beispiel „fest“ fürs ruhige Halten des Holzes, oder wie erwähnt „gerade“, damit der Hund sich beim Vorsitzen korrigieren kann. Ich möchte auch, dass mein Hund mit einer bestimmten Technik in das Vorsitzen „reinrutscht“. Dazu muss ich den Bewegungsablauf gezielt trainieren. Wir nutzen dafür die Hand als Target. So lernen schon unsere Welpen, sich gerade auszurichten und die richtige Position, in der Mitte vorm Hundeführer zu finden. Das kann man natürlich auch mit einem erwachsenen Hund machen, wenn man das Vorsitzen verbessern möchte. Das ist alles sehr viel Detailarbeit, aber weil der Hund das Apportieren in vielen kleinen Schritten lernt, ist es am Ende sehr verlässlich. Ein sehr wichtiger Vorteil ist auch, dass ich so, wenn ein Fehler passiert, diesen präzise benennen kann und der Hund kann sich korrigieren.“
Kekse statt Bällchen
Yannick ist im Schutzdienst verschiedenen Methoden gegenüber offen, er berichtet aber, dass er und Anne in der Unterordnung zu mehr als 90% Futter als Belohnung einsetzen. „Das Beutespiel ist für mich in der Unterordnung vergeudete Energie“, begründet Yannick seine Aussage. „Außerdem hat jedes Ende eines Spiels den Charakter einer negativen Strafe. Ich kann es drehen und wenden, wie ich will, am Ende muss ich dem Hund die Beute wegnehmen, damit es weitergehen kann. Und das fördert sicher nicht mein Ziel, in Abteilung B größtmögliche Harmonie zwischen Hund und Hundeführer zu präsentieren.
Vor allem aber sieht Yannick den Einsatz von Beute als Belohnung bei den technischen Übungen sehr kritisch. „Beim „Sitz, Platz und Steh“ ist das Belohnen mit Beute oft ein Riesenproblem. Nicht nur, weil die Beute Spannungen auslöst, sondern weil sie auch immer ein Ende der Übung ist. Welches Ziel verfolgt der Hund beim „Sitz“, wenn ich da mit Beute arbeite? Natürlich möglichst schnell aus der Übung wieder rauszukommen, um seine Beute zu kriegen. Das ist aber nicht der Sinn der Sache. Solange ich meinem Hund nicht vermittelt habe, dass das Sitzen das Ziel ist und die Futterbelohnung auslöst, werde ich immer gegen mich arbeiten.“
Touch me oder Fußlaufen ohne zu locken
Auch wenn Futterbelohnungen im Konzept von Anne und Yannick sehr wichtig sind, kommt es auch noch auf das „Wie“ an. Es soll nämlich nicht zu einer konstanten negativen Strafe werden, wie beim Futtertreiben. „Deshalb sind wir vom Futtertreiben weg“, erklärt Anne. „Wir wollen unseren Hunden nicht über einen Konflikt das Fußlaufen beibringen. Beim Futtertreiben hängt der Hund am Futter in der Hand, das er gerne haben möchte. Er bekommt es aber nicht nach einem klaren Muster, das er verstehen kann. Wie viel treiben ist richtig, damit das Futter endlich ausgelöst wird? Und der Supergau ist, wenn die Leute das Futter dann hochnehmen, damit der Hund hochguckt. Was mache ich an der Stelle lerntheoretisch betrachtet? Ich nehme dem Hund erstmal weg, wofür er die ganze Zeit gekämpft hat. Ergebnis: einige Hunde strampeln wie die Verrückten und geben immer mehr, aber rein aus dem Konflikt heraus. Anderen Hunde werden verunsichert und passiv, sobald sich das Futter wegbewegt und denken: „Was mache ich hier falsch?“ Deshalb funktioniert Futtertreiben nur bei Hunden, die auf einen Konflikt aktiv werden.“
Anne und Yannick haben sich deshalb für einen anderen Weg entschieden. „Wir bilden das Fußlaufen über „Touch mit der Hand“ aus.“ Die Hand wird dabei zum Target. Der Hund lernt, dass er eine Belohnung bekommen kann, wenn er die Hand mit der Nase berührt. „Wir haben das mit unserem jungen Hund ausprobiert. Wir haben den Touch geklickert und dann ist er mit elf Wochen zum ersten Mal am Handtarget ein paar Schrittchen Fuß gelaufen. Er hat eine Heidenfreude daran!“
Vor allen gefällt Anne und Yannick daran, dass der Hund von Beginn an aktiv arbeiten muss und das Locken mit Futter komplett wegfällt.
„Die Aktivität in die Arbeit rein kann ich nur dann trainieren, wenn der Hund lernt eine Handlung auszuführen, um damit etwas zu erreichen“,
erläutert Anne. „Diese Grundeinstellung brauche ich im IGP das ganze Hundeleben lang. Der Hund muss den Hundeführer aktivieren und das kann ich viel leichter über Touch, als übers Futtertreiben vermitteln.“
Schutzdienst – mehr als beißen und bellen
Auch im Schutzdienst wurde an diesem Wochenende mit den Hundeführern gearbeitet. Yannick begegnet dabei Anfängern wie „Profis“ auf Augenhöhe und gibt allen schnell das Gefühl der Sicherheit. „Sonst wäre ein optimales Training im Rahmen so eines Workshops nicht möglich.
Das funktioniert bei mir immer über Verständnis. Ich erkläre wo das Problem herkommt und wie wir es lösen können. Daran arbeiten wir dann natürlich, so dass jeder mit seinem Hund etwas weiterkommt.
Natürlich ist die Zeit bei einem Workshop begrenzt, aber ein, zwei Probleme können wir sicher an so einem Wochenende lösen. Die Teilnehmer, die bei allen Hunden aufmerksam zuschauen, können natürlich ganz viel mitnehmen und das Gezeigte auch auf ihren Hund anwenden.“
Aufbauarbeit
„Wir hatten zum Beispiel zwei, drei junge Hunde, die noch im Aufbau waren. Die hatten Probleme mit der Anbiss-Geschwindigkeit und dem Festhalten der Beute. Da können wir natürlich prima mit einer Leine dran arbeiten. Die gibt dem Hund einerseits Sicherheit von hinten, auf der anderen Seite können wir ihm auch vermitteln: Wenn du nicht schnell genug beißt, dann kommt es zur negativen Strafe und der Ärmel ist weg. Das führt zur Frustration und diese Erfahrung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Angriff schneller und fester erfolgt.“
„Wir hatten auch einen Hund dabei“, fährt Yannick fort, „der Probleme in der Impulskontrolle hatte. Der wusste nicht genau, was von ihm erwartet wurde und dementsprechend war auch die Umsetzung nicht konsequent. Ich schraube dann die Anforderungen herunter und wir arbeiten daran in einen kleinen Teilbereich Kontrolle reinzukriegen. Wenn das funktioniert, nehmen wir uns den nächsten Bereich vor.
Kleine Schritte, so schnell wie möglich entwickeln
„Solche Impulskontrollen muss ich je nach Hund auch in ganz niedrigen Trieblagen trainieren. Für mich muss ein Hund dazu in der Lage sein, einen Keks, der auf der Erde liegt, zu ignorieren. Der Hund der den Keks nicht ignorieren kann, bei dem muss ich mir nicht einbilden, dass ich den adäquat im Schutzdienst kontrollieren kann. Da muss ich dann erst noch die Beißwurst, den Ball, das Kissen dazwischen trainieren, ehe es mit dem Arm funktioniert. Je nach Hund-Hundeführer-Gespann füllt diese Aufgabe ganze Trainings bei mir. Weil ich den Anspruch habe, dass der Hundeführer Kontrolle über seinen Hund hat.“
Die Hundeführer mit denen Yannick regelmäßig trainiert, müssen in der Lage sein, ihren Hund auch in der Anwesenheit des Helfers in der Erwartungshaltung zu neutralisieren und ruhig vom Platz zu führen.
„Wer das kann, darf auch mal eine Beute mit vom Platz nehmen. Aber das ist für mich eine der Grundlagen im Schutzdienst.
Der Hund muss auf dem Platz ein Ende finden können und wieder runterfahren.
Das bringt dem Hundeführer ganz viel Kontrolle. Dafür nutzen wir ein Codewort, das dem Hund signalisiert, dass das Training beendet ist und er wechselt in eine neutrale Erregungslage.“
Aus Fehlern lernt man auch
Yannick beschreibt, wie er diese Übung mit seinem Hund trainiert. „Mein Hund liegt am Ende des Schutzdienstes im Platz und hat den Ärmel noch im Maul. Dann sage ich ihm, er soll den Ärmel loslassen. Mein Codewort ist „Schluss“. Wenn ich das gegeben habe, steht mein Hund auf und läuft über den Ärmel – fertig! Und dann gehen wir vom Platz. Dabei herrscht kein Leinenkontakt. Ich ziehe ihn auch auf gar keinen Fall vom Ärmel weg. Ich versuche auch nicht, den Fehler zu vermeiden, dass der Hund doch noch mal zum Arm geht. Gegebenenfalls lasse ich den Fehler passieren. Auf den Fehler folgt immer die gleiche Konsequenz für den Hund. Und so ist das Thema schnell erledigt und ein Leben lang gegessen.“
Am Ende eines Seminars oder eines Workshops mit Anne und Yannick habt ihr auf jeden Fall einige Fragezeichen weniger in den Augen und das nicht nur bezüglich ihres Heimatdialektes. Das würden euch auch mit Sicherheit Justus Jonas, Bob Andrews und Peter Shaw bestätigen, wenn... ja, wenn sie Hundesport machen würden. Und wer ist schon glaubwürdiger als drei Meisterdetektive.