Wissen schafft Verantwortung
Der Hund muss beißen und beim Verbellen ordentlich hämmern! Okay, er muss sich auch abrufen und führen lassen. Und den Ärmel wieder loslassen, wenn man es ihm sagt. Aber ist das alles, worum es im Schutzdienst geht? Oder steckt der Teufel vielleicht im Detail? Einer der modernen Exorzisten, der Luzifer verjagt, indem er jedes Detail im Schutzdienst beleuchtet, ist Yannick Kayser. An seiner Seite, nicht nur im echten Leben, sondern auch im Hundesport, ist seine Partnerin Anne Eisemann. Die beiden arbeiten in ihren Seminaren und Workshops perfekt zusammen. Von der präzisen Analyse der beiden, was exakt in jeder Übung im Schutzdienst passiert, welche lerntheoretischen Abläufe auf den Hund wirken und welche Emotionen dabei ins Spiel kommen, profitierten am 23. Juni die Teilnehmer des Sporthund Praxistreffs beim TSG Schlegel. Eine bunt gemischte Truppe hatte sich zum Workshop eingefunden - vom Anfänger, der zum ersten Mal einen Ärmel anhatte, bis zum erfahrenen Figuranten, der am nächsten Tag zu einer Helfersichtung für eine Meisterschaft fuhr.
Yannick war so nett, mir Einblick in seine Philosophie der Ausbildung im Schutzdienst zu gewähren, so dass auch ihr euch jetzt an seinem Wissensschatz bereichern könnt.
Schutzdienst-Training braucht klare Strukturen
Yannicks Konzept beruht darauf, Beute und Aggressionsverhalten genau in dem Maß zu fördern, dass der Hundeführer es kontrollieren kann. „Ich katapultiere Hunde nicht in Triebbereiche, die dann nur noch schwer händelbar sind“, erklärt Yannick mir direkt am Anfang unseres Gesprächs. Das heißt nicht, dass er nicht immer bestrebt ist, das Beste herauszuholen. „Wenn ich ein passendes Hund-Hundeführer-Team habe, versuche ich natürlich in maximale Triebbereiche zu kommen, aber unter ständiger Möglichkeit der Impulskontrolle, so dass das alles jederzeit durch den Hundeführer regulierbar ist. Unterm Strich kommt so für alle mehr raus, denn ohne eine adäquate Kontrolle des Hundes, kann niemand eine Prüfung bestehen.“
Natürlich achtet Yannick von Anfang an auf gute Griffe, klare Triebwechsel und dass er keine unnötigen Konflikte schürt, die sich negativ auswirken würden. Spannend wird das Ganze, wenn wir ins Detail gehen. Ihr erinnert euch... die Teufelchen!
„Für mich muss immer alles lerntheoretisch einen Sinn ergeben. Dabei spielen die vier Quadranten der instrumentellen Konditionierung eine wichtige Rolle - positive und negative Verstärker, sowie die positive und negative Strafe. Alle vier Quadranten kommen in einem maßvollen und gesunden Verhältnis zum Einsatz.“
Ansonsten ist Yannick „Methoden offen“ oder besser gesagt, er macht die Herangehensweise komplett vom Hund und Hundeführer abhängig und sucht individuell nach Wegen, die das Team am besten voranbringen.
„Meine erste Wahl beim Junghundeaufbau ist das Helfertreiben. Ich bin der Meinung, dass ich in die Bereiche, die ich dadurch ansprechen möchte, nicht mehr hereinkomme, wenn der Hund bereits eine Erwartungshaltung entwickelt hat, dass er vom Helfer ein Beuteobjekt bekommen kann. Für mich gibt es deshalb nur die sinnvolle Reihenfolge, dass der Beuteschutzdienst auf das Helfertreiben aufbaut. Das macht für mich lerntheoretisch nur so herum Sinn, weil das eine auf einem negativen Verstärker aufbaut (etwas Unangenehmes hört auf) und das andere die Erwartung auf einen positiven Verstärker fördert (etwas Positives wird hinzugefügt). Und wenn ich beides kombinieren möchte, dann macht es nur Sinn, einen positiven Verstärker auf einen negativen folgen zu lassen und nicht umgekehrt.“
„Das ist ein Versuch mit dem Helfertreiben. Der Hund muss innerhalb von wenigen Trainingseinheiten Freude daran entwickeln, sich mit dem Helfer auseinanderzusetzen und den Helfer zu kontrollieren. Wenn das nicht der Fall ist, dann switche ich um und wähle den Aufbau über die Beute.“
Impulskontrolle fördert das Lernen
Yannick ist es wichtig, die Impulskontrolle des Hundes von Anfang an zu stärken. „Jeder Hund, den ich trainiere, nimmt im Schutzdienst Futter an. Das ist für mich die erste Form von Impulskontrolle im Welpenalter. Sobald ich erkenne, dass ein Hund mit einer gewissen Erwartungshaltung zum Helfertreiben auf den Platz kommt, führe ich Impulskontrollen ein. Das Futter, das der Hund im Schutzdienst nehmen muss, ist ein positiver Verstärker. Er isst es aber nur dann, wenn der Hund es auch als solchen empfindet. In dem Moment, wo das Interesse am Futter nicht gegeben ist, switche ich die ganze Geschichte um und mach einen negativen Verstärker daraus.
Ich vermittele dem Hund, dass es ohne Essen nicht weiter geht. Das ist die erste Form der Impulskontrolle. Essen ist so was Einfaches, das kann jeder Welpe. Dazu muss er nichts gelernt haben. Das führe ich ein, damit der Hund – auch in Gegenwart des Helfers - zur Ruhe kommt. Erst wenn er den Triebwechsel zur Ruhe auch zeigen kann, geht das Helfertreiben bzw. der Schutzdienst mit der Beute weiter.“
„In der Impulskontrolle muss der Hund aktiv eine Entscheidung treffen: er muss sich beherrschen und „selbst bestätigendes Verhalten" unterlassen“ erklärt Yannick weiter. „Deshalb bin ich an der Stelle kein Fan von Pfahlarbeit bzw. generell von der Leine. Die löst oft Missverständnisse aus, weil der Hundeführer unbewusst damit Signale sendet oder Fehler verhindert. Es gibt grob gesagt zwei Fehler. Erstens: mangelndes Verständnis in der Ausbildung. Da muss ich über Hilfen den Fehler vermeiden, damit der Hund etwas lernt. Der zweite Fehler entspringt aus mangelnder Impulskontrolle. Dieser Fehler darf nicht vermieden werden, wenn ich ihn aus der Welt schaffen möchte. Dieser Fehler muss passieren. Nur dann kann der Hund lernen, in Zukunft eine Entscheidung gegen dieses Verhalten zu treffen. Meine Hundeführer müssen deshalb immer lernen, die Leine kontrolliert zu nutzen. Das bedeutet, sie ist zwar dran, aber der Hund wird so gehändelt, als wäre keine Leine da. Sollte der Hund einen Fehler machen, wird er mit Stimme und Körpersprache korrigiert. Er muss lernen, frei zu sitzen – ohne Leinenkontakt.“
Die Hundeführer, die regelmäßig mit Yannick arbeiten, müssen auch kleine Hausaufgaben als Vorbereitung für den Einsatz im Schutzdienst erledigen.
Hundeführer verbellen für Beute ergänzt das Helfertreiben
„Technisch lernen die Hunde das Verbellen am Hundeführer. Das findet auch parallel statt, wenn der Hund durch Helfertreiben aufgebaut wird. Wir benutzen dafür in erster Linie Futter und setzen das Verbellen für Beute nur gegebenenfalls ein. Der Hundeführer blockiert Futter oder Beute, der Hund bekommt Frust und beginnt zu bellen. Das funktioniert in der Regel sehr gut. Habe ich aber einen Hund, der auf diesen Konflikt nicht „laut“ wird, sondern mit einem anderen Ersatzverhalten reagiert, dann ist dieses System keine Option. So ein Hund „macht sich zu“ und kriegt das Bellen auf diesem Weg nicht hin.“
Auch das „Aus“ lernen die Hunde natürlich außerhalb des Schutzdienstes vom Hundeführer. „Bevor es im Schutzdienst eingesetzt wird, haben die Hunde schon eine Idee vom „Aus“ bzw. vom Tauschen – also Beute gegen Futter und dann wieder zurück in die Beute. Das können die Hunde bevor sie bei mir beißen.“ Das Training des Kommandos „Aus“ empfiehlt Yannick übrigens, nicht mit einem Ball mit Schnur zu machen.
„Wenn ich die Aus-Übung mache und halte dabei die Schnur fest, dann findet in dem Moment, wo der Hund den Ball loslässt, jedes Mal eine kleine negative Strafe statt, weil der Ball herunterfällt, weg vom Hund. Somit konditioniere ich eine negative Strafe auf das Öffnen des Fangs. Ich finde deshalb folgende Variante der Übung mit einer Beißwurst besser: Ich vermittele dem Hund, dass er den Fang aufmachen und zehn Zentimeter Abstand zur Beißwurst einnehmen soll. Das ist mit einem Ball nicht möglich, wenn der sich jedes Mal an der Kordel vom Hund wegbewegt. Dann denkt der Hund immer nach vorne – zur Beute – ich möchte aber einen Hund haben der beim Aus – nach hinten denkt – weg von der Beute. Das ist für mich ein ganz elementarer Punkt, warum Spiel mit dem Ball oft Konflikte auslöst.“
Aus und Verbellen sind vorbereitet. Wie beginnt Yannick nun den Junghundeaufbau konkret?
„Wenn ich mit dem Helfertreiben beginne, dann mache ich das eine gewisse Zeitlang einmal pro Woche. Dann folgt eine Pause von 4-6 Wochen, damit der kleine Hund sich in seiner Persönlichkeit weiterentwickeln kann. Wenn alles gut läuft, dann mache ich solche Blöcke zwei oder drei Mal und zwischen dem siebten und zwölften Lebensmonat bringe ich dann die Beute ins Spiel – je nach Veranlagung des Hundes.
Ist es dann soweit, lernen die Hunde als allererstes eine gute Anbisstechnik. Der Hund muss sich kraftvoll vom Boden abdrücken, das Maul öffnen, voll und fest zubeißen und dann den Griff ruhig halten. Wenn diese Technik optimal funktioniert, dann setze ich sie auf die komplexeren Übungen wie die kurze Flucht, lange Flucht etc. um.
Ärmel tragen bringt nichts
Yannick ist übrigens kein Fan davon, dass der Hund die gewonnene Beute herumträgt. „Wenn ich bei einem Hund am ruhigen Griff arbeiten muss, sehe ich keinen Sinn darin, dass er die Beute „unkontrolliert“ herumträgt. Wenn er dabei anfängt zu knautschen, dann ist das kontraproduktiv. Ein Hund braucht immer einen Job. Das bedeutet, dass die Beute einen Job zur Folge haben muss und dass es da nicht zur freien Entscheidung kommt.“
Auch wenn es um das Thema „Kontern“ geht, hat Yannick eine klare Meinung. „Ich bin in den allermeisten Fällen gegen das Kontern. Es gibt Kontern, das mag ich sehr. Das ist dann, wenn ich merke, der Hund hat Spaß daran. Er setzt sich mit dem Helfer und der Beute auseinander. Das finde ich gut, das lasse ich auch zu, solange es die Griffe nicht negativ beeinflusst. Und es gibt Kontern, da bin ich entschieden dagegen. Das ist, wenn es gezielt über negative Verstärker aufgebaut wurde. Der Hund denkt dann vom Helfer weg. Das mag ich gar nicht. Ein Hund, der kontert, weil er vom Helfer weg möchte, macht für mich nicht den Schutzdienst, den ich gern sehen möchte. Kontern sollte das Spiel auch nicht beenden. Der Hund soll mit der Beute zurück zum Helfer kommen, ihn anspringen und so klar zeigen, dass er sich weiter mit ihm auseinandersetzen will.“
Der Schutzhundesport gerät immer mal wieder in die Kritik. Wie weit darf man das Aggressionsverhalten fördern? Wo ist da für Yannick die Grenze? „Wir müssen – wie immer im Leben – die Mitte finden. Einen Hund massiv in die Ecke zu drängen und da Verhalten auszulösen, wo der Hund wirklich in den Verteidigungsmodus kommt, wo er sein Leben schützen möchte, das macht keinen Sinn. Da wollen wir nicht hin und da dürfen wir nicht hin. Das Ziel muss sein, dass Hund, Helfer und Hundeführer am Ende alle Spaß daran haben, was sie tun.“
Gute Schutzdienstausbildung ist absolut tierschutzkonform
Die noch relativ neue Tierschutz-Hundeverordnung legt klar fest, dass man einem Hund bei der Ausbildung keine Schmerzen zufügen darf. Ist es für Yannick ein Problem auf aversive Korrekturen verzichten zu müssen?
„Nein! Ein guter Ausbilder muss alle vier Quadranten der instrumentellen Konditionierung situationsbedingt und angemessen einsetzen können. Aber man muss auch dazu sagen, wenn man als Mensch der Auslöser für Korrekturen ist, weil man über sinnloses Training den Hund in Bereiche gebracht hat, wo er nicht mehr kontrollierbar ist, dann ist es nicht okay, mit positiver Strafe das wieder einfangen zu wollen. Wenn ich Impulskontrollen von Anfang an einfordere, wenn das normal ist für den Hund, dann komme ich nicht in die Bereiche, dass ich Korrekturen so drastisch einsetzen muss. Da komme ich nicht mehr hin, wenn meine Aufbauarbeit stimmt. Und dann ist unser Training absolut tierschutzkonform.“
Und das ist auch der einzige Weg, unseren Sport in der Öffentlichkeit positiv darzustellen. Wissen schafft Verantwortung. Und die müssen wir als Schutzdiensthelfer übernehmen. Ein unerfahrener Hundeführer kann nicht erkennen, wann sein Hund in einen Bereich kommt, wo er nur noch schwer kontrollierbar ist. Da sind wir in der Verantwortung.
„Und dann müssen wir an der Stelle auch den Schutzdienst abbrechen“, stellt Yannick klar. Wir müssen die Impulskontrolle schaffen! Und wenn die nicht gegeben ist, dann müssen wir das üben, bis sie wieder gegeben ist. Erst dann können wir mit Schutzdienst weiter machen. Wenn ich den Hund nur im Beißen und in den Trieblagen fördere, aber der Hund nicht kontrollierbar ist, dann wird er am Ende auch keine Prüfung machen. Und das ist nicht unser Ziel.“
Ein schönes Schlusswort! Vielen Dank an Yannick und Anne, von der wir im nächsten Artikel wesentlich mehr erfahren werden, dass sie ihr Wissen auf diesem Weg mit uns teilen. Das kann aber auf keinen Fall ersetzen, die beiden mal live und in Farbe zu erleben. Klare Empfehlung an alle Hundeführer und Figuranten: Lasst euch den nächsten Workshop mit Yannick und Anne nicht entgehen.