Was uns Hundesport über unsere persönliche Resilienz verrät
„Vertrau deinem Hund!“
Wer kennt diesen Spruch nicht? Man selbst steht vor einem Berg aus Lampenfieber, Ängsten und Sorgen, der Prüfungstermin rückt immer näher - und dann bringt der hilfsbereite Ausbildungswart diesen Spruch, der ungefähr so hilfreich ist wie ein maximalbeschleunigter Waschlappen frontal ins Gesicht. Nass, selbstverständlich. Triefnass.
Wäre der Akt des Vertrauens so simpel, hätten wir erheblich weniger Probleme, uns im Hundesport Prüfungsaufgaben zu stellen. Denn wo wir vielleicht ein annähernd realistisches Bild über unsere persönlichen Prüfungskompetenzen besitzen, zweifeln wir an denen des Hundes. Oder an der Kommunikation. Oder unserer Zusammenarbeit. Oder der Wetterfestigkeit. Oder.. eigentlich kann man an allem zweifeln, was unseren Hund dazu veranlassen könnte, unser Prüfungsvorhaben zu sabotieren. Wir werden dann ja auch unsicher. Und Zweifel sind ein wahres Vertrauensgift. Oder?
Ein vielschichtiger, oft missverstandener Begriff
Auf Seminaren über „Teambuilding“ und „Beziehungsaufbau“ stellt sich häufig die Eingangsfrage, was Vertrauen überhaupt bedeutet. Hier erblüht dann regelmäßig ein Diskurs über entsprechend assoziierte Zusammenhänge, die sich persönlich sehr unterscheiden. Eine klare Definition kommt weniger häufig heraus. Tatsächlich lässt sich „Misstrauen“ viel einfacher erklären, sucht man nach konkreten Erfahrungen und beschreibenden Bildern. Vertrauen scheint da oft ein diffuses, schwer erreichbares und hochirritierbares Ideal.
Was sagt die Fachliteratur dazu? Dr. Thomas Fuchs beschreibt Vertrauen beispielsweise als „Einstellung positiver Erwartung, die wir hinsichtlich des Wohlwollens, der Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit anderer hegen.“ So gesehen handelt es sich um die Substanz wertvoller Beziehungen mit anderen, die wir eigentlich alle anstreben.
Unseren Hunden gegenüber erscheint das schwierig. Schließlich ist ein Tier nie zu 100% berechenbar und über Wohlwollen und Aufrichtigkeit lässt sich wahrlich diskutieren! Basiert artübergreifendes Vertrauen also auf Vermenschlichung und stößt an faktische Grenzen? Hundebesitzer bringen oft an, dass sie eine gewisse Zeit benötigen. Sie möchten ihren Hund kennenlernen, seine Reaktionen erleben, Gewohnheiten und Abneigungen herausfinden. Dadurch würde auch das gegenseitige Vertrauen wachsen. Aber eben nie ganz, wegen der Unberechenbarkeit.
Stimmt das wirklich?
Genau genommen beschreiben diese Hundebesitzer Vertrautheit. Die ist andernfalls mit Vertrauen verwandt, meint aber nicht dasselbe! Das spürt man spätestens in einer belastenden Situation als nagender Zweifel – wie eben einer Prüfung im Hundesport. Vertrautheit ist mit Nähe und Vorhersehbarkeit verbunden. Es macht ein sicheres, geborgenes Gefühl – aber kaum wird etwas unvertraut, ist diese Sicherheit irritiert. Und unvertraut ist alles, was wir nicht bereits erlebt haben. Vertrauen bedeutet aber, dieses Sicherheitsgefühl auch in fremde, konfliktbehaftete Situationen übertragen zu können.
„Vertrauen“ auf dem neurobiologischen Prüfstand
Der Hirnforscher Prof. Dr. Niels Birbaumer bezeichnet in einem GEO Wissen-Interview „Vertrauen“ als „wissenschaftlich schwer zu fassen“, obwohl es einen integralen Bestandteil unseres sozialen Miteinanders darstelle.
Überraschend dabei: Menschen, die keine Angst empfinden können, können auch nicht vertrauen. Umgekehrt entsteht Vertrauen dann, wenn Hirnareale weniger aktiv sind, die mit Gefahrenwahrnehmung und Angstgefühlen in Verbindung stehen. Es scheint also eine empfindliche Balance zwischen einem gewissen Maß an Angst und einem größeren Maß an Sicherheitsgefühl notwendig zu sein, um „Vertrauen“ zu fühlen. Also sind unsere vierbeinigen Partner mit ihrer „finalen Unberechenbarkeit“ doch wieder im Rennen?
Auf jeden Fall macht diese Erkenntnis deutlich, warum zugewandte Beziehungen nicht nur in harmonischem Einklang existieren. Das Leben als solches behält immer ein wenig Unberechenbarkeit, da nehmen sich Menschen nicht aus. Grenzsetzungen, Missverständnisse oder Interessenskonflikte gehören dazu, wenn man seinem Gegenüber auf Augenhöhe begegnet. Solange die Zuversicht existiert, mit unseren persönlichen Fähigkeiten die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen, können wir auch darin vertrauen, dass unser Gegenüber keine existenzielle Bedrohung darstellt. Auf dieser Basis kann sich Vertrautheit entwickeln – und irgendwann auch zu Vertrauen reifen. Für diesen Reifungsprozess braucht es jedoch Entwicklungsanreize.
Der Preis des vertrauten Miteinanders
Die Fähigkeit zu Vertrauen ist eine wichtige Lebenskompetenz im sozialen Bereich. Laut Professor Birbaumer dient sie der Verminderung von Auseinandersetzungen und ermöglicht Kooperation. Damit teilt sie sich soziale Grundfunktionen wie Kommunikation, Empathie und Selbstregulation – wer vertraut, gibt zudem ein Stück Kontrolle ab. Das ist immer ein persönliches Risiko. „Wer vertraut, der entscheidet sich auch bewusst dafür, sich verletzbar zu machen“, merkt der Hirnforscher an. Er könne schließlich nur annehmen, dass etwas in seinem Sinne geschehen werde. Vertrauen ist also eine Vorschussleistung, die sich hinterher auszahlt – oder enttäuscht wird.
Wer also sicher weiß, was passieren wird, braucht kein Vertrauen und wird den emotionalen Gewinn dieser Erfahrung auch nicht erleben. Das Streben nach absoluter Berechenbarkeit ist kein Vertrauensaufbau.
Eine Prüfungssituation als Beispiel ist immer auch eine Art Kontrollverlust. Wir geben Hilfen auf, setzen uns Bewertungen, Umweltreizen und Ehrgeiz aus. Ganz sicher können wir uns nie sein, wie unser Hund reagieren wird: er ist ein eigenständiges Lebewesen. Wir können nur gut trainiert haben, realistisch unseren gemeinsamen Stand betrachten und darauf achten, uns und den Hund nicht zu überfordern.
Brauchen wir eine minutiös gedrillte, roboterhafte Gewissheit – oder können wir das Bisschen Unberechenbarkeit ertragen, welches wir einem Sportskameraden in Anerkennung seiner Persönlichkeit und seines freien Willens zugestehen müssten?
Vertrauen lohnt sich
Auf den ersten Blick klingt es eher wie ein Handicap, die Sache mit dem Vertrauen. Und doch sind sich Therapeuten und Wissenschaftler auf der ganzen Welt einig, dass in dieser Fähigkeit die stärkste seelische Widerstandskraft innewohnt. Der Mitbegründer des deutschen Resilienz-Zentrums in Mainz, Prof. Dr. Raffael Kalisch, hat Vertrauen in sich und die positive Entwicklung des eigenen Daseins als einer von drei maßgebenden Resilienzfaktoren identifiziert.
Im ganz kleinen Rahmen, im Hundeverein und vor dem Prüfer zitternd, ist Vertrauen zu unserem Sportskamerad Hund also ein überaus wertvoller Schatz. Im größeren Rahmen, wenn es um unsere Lebensgestaltung geht, kann uns diese kleine Episode etwas noch viel Wertvolleres schenken: Den Anreiz, unseren persönlichen Umgang mit Vertrauen und Kontrolle zu reflektieren. Manchmal ist dies schon der Anreiz, der uns zuversichtlich und in vernünftigem Rahmen Kontrolle abgeben lässt und wir die Erfahrung machen dürfen, dass unser Vertrauen nicht enttäuscht wird.
Das ist ein lohnenswertes Investment, dieser Vertrauensvorschuss.
Quellen:
- Phänomenologische Forschungen, „Vertrautheit und Vertrauen“ (2015, Dr. T. Fuchs)
- Management „Die 5 Grundregeln des Vertrauens“, Jochen Mai, www.karrierebibel.de
- GEO-Wissen Nr. 59 „Die Kunst zu Streiten“, Interview Prof. Dr. N. Birbaum
- „Der resilente Mensch – Wie wir Krisen erleben und bewältigen“ (2017, Prof. Dr. Raffael Kalisch)