Fühlen Hunde unsere emotionale Verbundenheit oder nutzen sie uns nur ganz pragmatisch?
Umdenken ist schwierig, aber angesagt!
In Wissenschaft und Forschung galt der "gemeine Haushund" lange als minderwertiges, uninteressantes Forschungsobjekt: ein "unechtes", künstlich "gemachtes Tier". Was man eigenhändig "hergestellt" hat, bietet schließlich keine größeren Überraschungen. Zusammen mit dem Einfluss des frühen Behaviorismus ergab sich eine wenig wertschätzende Klassifizierung als bloße Reiz-Reaktions-Maschine gegenüber sich verändernden Umweltbedingungen.
An dieser Stelle fühlen Hundehalter regelmäßig eine innere Erregung, die sich mühelos als "Ärger" und "Empörung" identifizieren lässt. Wir werden "emotional berührt" - und das unangenehm. Als Reaktion möchte man seinen Vierbeiner vielleicht tröstend anfassen, ihm versichern, dass er keinesfalls nur ein "minderwertiges Kunstobjekt" darstelle. Und findet Wissenschaftler in Zukunft vielleicht sogar ein bisschen unsympathischer.
Wir können getrost aufatmen - an dieser Einstellung hat sich in den letzten Jahren viel verändert: tatsächlich gilt der moderne Haushund als das einzige Tier, welches sich in faszinierender Manier an die ökologische Nische "menschlicher Haushalt" anzupassen vermochte. Wir dürfen also an die "fiesen" Wissenschaftler eine Menge Sympathiepunkte zurückgeben, denn sie haben herausgefunden, dass
Hunde sehr wohl über Gefühle verfügen und wir für dieses Erleben soziale sowie moralische Verantwortung tragen.
Und da wird es schwierig:
Wir Menschen "verarbeiten" Emotionen anders als Hunde - und wie genau Hunde denn nun tatsächlich Gefühle erleben, ist noch lange nicht erforscht. Würde unser Hund sich brüskiert oder empört fühlen, wenn er sich dieser vergangenen Abwertung bewusst werden könnte? Oder würde es ihn gar nicht "berühren", solange ihm trotz dieser Einstellung sein sicherer Couchplatz erhalten bleibt?
Für uns Menschen ist es ein alltäglicher Vorgang, unsere Gedanken mit Gefühlen zu verknüpfen. Bewusst wird uns dieser Vorgang meist erst in Konfliktsituationen, in denen "Sachebene" und "Gefühlsebene" konkurrieren und bestimmte Voraussetzungen (beispielsweise am Arbeitsplatz) erfordern, die eigenen Emotionen zu regulieren. Die gängigste Variante stellt, vereinfacht ausgedrückt, der Umweg über das bewusst gesteuerte Denken dar:
"Ich ändere einfach meine Bewertung der Situation und verfolge eine bestimmte Strategie" und bald folgt das konkrete Erleben nach."
Ist es denn ebenso "einfach", in das Gefühlserleben unserer Hunde einzugreifen und Kraft unserer Kognition plus gängiger Lerngesetze zu erzwingen, dass der Hund eine Situation so erlebt, wie wir uns das für ihn wünschen?
Selbstregulation, welche wir in vergangenen Heften schon ausführlicher betrachtet haben, ist eine komplexe "exekutive Kompetenz" des sozialen Miteinanders und des evolutionären Überlebens. Jedes soziale Lebewesen vermag emotionale Impulse zugunsten von sozialen oder situativen Vorteilen zurückzuhalten - das ist keine Fähigkeit, die nur uns "Zweibeinern" vorbehalten bleibt!
Aber was hat "denken" nun auf neurobiologischer Ebene mit "fühlen" zu tun?
2019 beispielsweise hat die Wissenschaftlerin Erin Hecht an der Harvard Universität eine Studie veröffentlicht, bei der für die koordinierte Zusammenarbeit mit Menschen gezüchtete Arbeitsrassen eine veränderte Struktur des Präfrontalen Kortex nachgewiesen wurde - der Bereich der Großhirnrinde, der bei uns besonders ausgeprägt ist und steuert, dass wir uns "wie zivilisierte Menschen" verhalten können. Zumindest "könnten"..
Warum das bezüglich der hündischen Gefühlswelten so interessant ist: Das, was wir umgangssprachlich als "ich fühle" ausdrücken, ist in Wirklichkeit das Ergebnis eines mehrfach weiter verarbeiteten Prozesses - und in so kurzen Zeitspannen, dass wir diese "Verarbeitung" gar nicht wahrnehmen.
Man nennt es auch "sekundäre" Emotionen - und das ist genau der "Scheitelpunkt", an dem die sogenannte "Vermenschlichung" einsetzt. Denn das, was wir als komplizierte Gefühle erleben und im Alltag selbst bei unseren vertrauten Mitmenschen kaum nachvollziehen können, ist laut Forschungsergebnissen eine individuelle Interpretation von neurobiologischen Prozessen.
Der steife Fachjargon beschreibt den Fakt, dass sich die Gehirne von höher entwickelten Säugetieren in den Grundstrukturen so ähnlich sind, dass Tiere mindestens die selben Basis-emotionen besitzen müssen, die wir Menschen auch haben. Das liegt an den vorhandenen Hormonen und Neurotransmittern, aber auch an den entsprechenden Verarbeitungszentren im Gehirn.
Der besagte Präfrontale Kortex ist maßgeblich dafür verantwortlich, Erinnerungsinhalte und Reizwahrnehmungen so zu verknüpfen und interpretieren, dass unser "Bewusstsein" daraus entsteht - und dadurch auch unser emotionales Erleben. Das bedeutet gleichzeitig auch: unser Gehirn muss erlernen, welche Aktivierungsmuster mit welchen Umweltreizen zusammenhängen.
Gefühle sind also zu einem großen Teil "erlernbar"!
Vorsichtig ausgedrückt wird ein "Gebrauchshund" mit einem besonders ausgeprägten Interpretations-Netzwerk im Präfrontalen Kortex seine "Basis"-Emotionen ein bisschen menschenähnlicher strukturieren als ein Hund, der kaum genetische Dispositionen für artübergreifende Kooperation mitbringt. Dazu kommt natürlich auch, wie ausgiebig der entsprechend veranlagte Hund die Gelegenheit hatte, in sensiblen Entwicklungsphasen durch wohlwollende Interaktion und menschliche Aufgeschlossenheit überhaupt etwas über artfremdes "Fühlen" lernen zu dürfen.
Es bedeutet keinesfalls, dass der Hund im Alltag deshalb solche "komplizierten" Gefühlsverwirrungen erlebt, wie es uns Menschen nun mal auszeichnet. Dazu fließen bei uns zu viele abstrakte Parameter in diese Weiterverarbeitung.
Wir wissen, dass Hunde - im Gegensatz zu Wölfen - dazu neigen, in überfordernden Situationen den Blickkontakt zu ihren Bezugspersonen zu suchen. Beim Menschenkind spricht man dabei von "social referencing" (Soziale Bezugnahme) und räumt dieser Interaktion einen wichtigen frühkindlichen Entwicklungsfaktor für eine gesunde Umweltbeziehung ein.
Auch junge Hunde lassen sich von ihren älteren Artgenossen einen mehr oder weniger adäquaten Umgang mit der Umwelt "am Modell" vorleben. Und zu allem Überfluss sind "menschenerfahrene" Hunde sogar sehr treffsicher dazu in der Lage, Dissonanzen zwischen mimischen Gefühlsausdrücken und der dazu passenden Tonlage zu erkennen!
Wir wissen allerdings genauso, dass Menschen umgekehrt kaum dazu in der Lage sind, bei anderen Lebewesen Gefühlsausdrücke wie "Angst" zu erkennen. Ärger und Freude identifizieren wir deutlich besser, auch wenn hierzu Erfahrung im Umgang notwendig ist. Was evolutionär Sinn macht (Stichwort Gefahrenwahrnehmung), ist sozial eher ein Handicap.
Da liegt am Hundeführer doch sehr viel Eigenverantwortung und Selbstreflexion, seinem vertrauenden Vierbeiner ein stabiles, nachvollziehbares Gefühlsleben als Referenzrahmen zu bieten.