Vierbeinige Mimose? Emotionsflexibel? Hyperaktiv oder Alles-Alleine-Könner? Einfach kann doch jeder!
„Ich habe nicht versagt. Ich habe 10.000 Wege gefunden, wie etwas nicht funktioniert“,
sprach Thomas Edison, der Erfinder der Glühbirne. Ähnlich fühlt sich der Versuch an, einem Hund mit sogenannten „special effects“ den Sinn einer Prüfungsordnung näherbringen zu wollen. Und wer ernsthaft weiterkommen will, sollte lernen, diesen Komplikationen zumindest eine ungewöhnliche Erweiterung der persönlichen Problemlösungskompetenzen abzugewinnen. Frei nach dem Motto: Think positive!
Doch was bedeutet „Verhaltenskreativität“? Was macht einen Hund „schwierig“?
Gibt es eine Richtlinie, an der wir uns orientieren können? Eins dürfte zumindest klar sein: den „perfekten“ Sporthund gibt es ohnehin nur in unseren Träumen. Und selbst wenn es ihn gäbe – er ist kein Garant, eine gradlinige Karriere hin zum Weltmeistertitel einzuschlagen. „Das wollen wir doch auch gar nicht“, so die reflexartige Antwort. Mal ehrlich: So ein Streben wirkt ja auch unrealistisch und größenwahnsinnig. Unangemessen. Verwerflich.
Glaubt man dem Harvard-Referenten Shawn Achor(1), haben wir jedoch genau diesen inneren Drang nach „mehr“ tief in uns verankert. Es existiere ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass die Messlatte immer höher gehängt werden sollte. Höher, schneller, weiter – wer ein Erfolgserlebnis verbucht, darf sich nicht darauf ausruhen.
Glück und Selbstwertgefühl werden bereits im Kindesalter an „es geht noch besser“ geknüpft. Und diese unterbewusste Programmierung begleitet uns selbstverständlich mit auf den Hundeplatz. Auch wenn wir uns zwingen, mit einer bestandenen Ortsgruppenprüfung zufrieden zu sein.
"Schwierig" ist immer auch eine Sache der Perspektive.
Wir lieben Erfolgsgeschichten, bei denen jemand aus unseren Reihen des „Durchschnitts“ mit Fleiß und ein bisschen Glück völlig unerwartet durchstartet – und so mal eben Weltmeister wird. Der „richtige“ Hund. Die „richtige“ Methode. Viel harte Arbeit. Wir können uns mit so einer „durchschnittlichen“ Persönlichkeit identifizieren, weil es auch wir hätten sein können. Das motiviert. Es gibt kleinen Erfolgen einen größeren Sinn. Und es bietet Raum für Träume.
Die Realität frustriert da eher
Es ist kein Geheimnis, dass die „großen Meister“ ihrer jeweiligen Sportart ihre Erfolgssuppe auch nur mit Wasser kochen. Aber sie haben einen feinen Geschmack für die wichtigste Zutat: Welcher Hund passt zu mir und meinen Trainingsmöglichkeiten? Letztendlich geht es um „Gewinnchancenmaximierung“ und der Rest ist immer auch Glück, im sportlichen Wettkampf die besseren Karten zu besitzen.
Die sportliche Partnerschaft wird an fixe Rahmenbedingungen geknüpft. Und ebenso schnell kann sie gekündigt werden, um die Chancen zu erhöhen. Kurz und schmerzlos. Hier verzettelt sich der Hobby-sportler gerne – und das ist auch gut so. Wir mögen unsere Hunde schließlich, leben mit ihren Macken und ihrer Unvollkommenheit. Sportgeräte sind verpönt und mit dieser Mentalität möchten wir uns aus gutem Grund nicht identifizieren.
Die Beziehung zu unserem Hund sollte zuverlässig, empathisch und verbindlich sein.
Genau hier beginnen wir Hunde als „schwierig“ zu empfinden. Obwohl unsere Beziehung zu ihnen mehr Tiefgang und emotionalen Wert besitzt als Ruhm und Ehren des sportlichen Erfolgs?
Die klinische Therapeutin PD Dr. Gitta Jacob(2) erklärt diese scheinbare Unvereinbarkeit mit professioneller Trockenheit: In Beziehungen entwickle man durch die emotionale Nähe auch mehr Verletzbarkeit. Und hier begrenzen die Bedürfnisse des Gegenübers mitunter unsere eigenen: ein Konflikt entsteht, weil beide Beziehungspartner Raum für ihre Bedürfnisse beanspruchen. Das wichtigste Bedürfnis indes sei, unseren Selbstwert zu erhalten.
Die „Macken“ unserer Hunde stehen also unserem Streben nach Selbstwert im Weg, wenn wir diesen an die möglichst konkurrenzfähige Umsetzung der Prüfungsordnung gebunden haben. Besäßen wir eine distanziertere Beziehung, würde uns das Ausbleiben des Erfolgs weniger belasten. Ob diese distanzierte Beziehung nun zum Sport oder zum jeweiligen Hund besteht, entscheidet letztendlich über unsere Lösungsstrategien.
Was macht eine Persönlichkeit „schwierig“?
Unter einer Persönlichkeit (beim Hund oft altmodisch „Wesen“ genannt) wird die Gesamtheit aller angeborenen und erworbenen Persönlichkeitsmerkmale verstanden, die eine Regelmäßigkeit des Verhaltens und des Erlebens bilden sowie die individuellen Reaktionen auf Umweltreize bedingen.
Eine soziale Gruppe bildet eine Erwartungshaltung bezüglich der Reaktionsweisen, die als „angemessen“ empfunden wird. Dabei spricht man von sozialem Normverhalten. Soziale Lebewesen verfügen über die Fähigkeit der langfristigen Anpassung (Adaption) an soziale Normen und die sozialadäquate Lösung von Konflikten, die zwischen persönlicher Bedürfniserfüllung und sozialer Vorgaben entstehen. Dazu bedarf es einem bestimmten Maß an Selbststeuerungskompetenz. Bei Tieren wurde diese kognitive Fähigkeit lange verneint (Trieb- bzw. Instinktheorie), inzwischen konnte die Wissenschaft diese Annahme revidieren.
Jedes Individuum besitzt zudem eine sich wiederholende Tendenz affektiver Erstreaktionen und kognitiver Verarbeitungsschemata für Reizwahrnehmungen, Problemstellungen und Widerstände. Dabei handelt es sich um Persönlichkeitsstile. Je größer das Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsstil, sozialer Normgebung und umweltbedingtem Anpassungsdruck gerät, desto „schwieriger“ erscheint ein Individuum aus der Perspektive der „Norm“. Dabei gibt es keine allgemeingültige Definition für „schwierige“ Charakterzüge. Es braucht dafür immer eine Rahmenbedingung, die für die exekutiven Funktionen eines individuellen Persönlichkeitsstils nur mit intensiver Anstrengung zu erfüllen ist. Kommt zusätzliche Belastung hinzu (was beispielsweise eine Prüfungssituation auslöst), reichen die Ressourcen nicht mehr aus: der Fokus bewegt sich auf die Lösung mit der größtmöglichen Entlastung, auch wenn dies dem langfristigen Ziel schadet.(3)(4). Aus dieser komplizierten Verklausulierung lässt sich für den mehr oder weniger verzweifelten Hundeführer ableiten, dass sportliche Vorgaben auch eine Art soziale Norm darstellen. Fällt der Persönlichkeitsstil unseres Hundes zufällig mit dieser Norm zusammen, werden wir wenig „Schwierigkeiten“ bekommen. Auch dann nicht, wenn der Vierbeiner im Alltag als hochkompliziert und anstrengend auftritt. Es handelt sich um unterschiedliche Rahmenbedingungen - aber leider haben wir keinen Anspruch auf günstige Zufälle.
Wie „schwierig“ ist unser Hund überhaupt, wenn wir ihn mit „sportspezifischen“ Aufgaben konfrontieren?
Hochsensibel: Die vierbeinige Mimose
Manche Hunde zeigen sich extrem reizempfindlich: einzelne Sinneswahrnehmungen bis hin zu generalisierter Hypersensibilität lösen Unbehagen aus; in extremen Fällen sogar starkes Meideverhalten oder phobische Angstzustände. „Stell dich nicht so an!“ oder „Der muss da durch“ wirken eher kontraproduktiv. Eine bekannte Ausprägung ist noch vor Berührungssensibilität die Geräuschempfindlichkeit. Border Collies und Australian Shepherds wiesen diese bei einem Drittel der untersuchten Hunde auf (Dr. S. Meermann).
Im Hundesport benötigen die Vierbeiner eine ausreichende Toleranz gegenüber Lärm – sei es bei der „Geschossknallgleichgültigkeitsüberprüfung“, die Geräuschkulisse von Zuschauern, Hundegebell oder Fahrzeuglärm im Straßenteil der Begleithundeprüfung. Das kann zur Herausforderung werden. Genetische Dispositionen scheinen eine Rolle zu spielen, eine unzureichende Sozialisierung im Welpenalter fördert diese Neigung ebenfalls. Die betroffenen Hunde besitzen nur eingeschränkt die Fähigkeit, Informationen aus Sinnesreizen zu filtern. Sie werden dadurch leicht überfrachtet.
Dieses Persönlichkeitsmerkmal ist keine Verhaltensstörung. Es schränkt jedoch die Belastbarkeit ein.
Der Hund braucht vor allem Unterstützung im Bereich Stressabbau und einen verantwortungsbewussten Hundeführer, der die Grenzen seines Vierbeiners realistisch einschätzen kann. Verbleibt er dauerhaft im Status der Überreiztheit, resultieren daraus problematische Verhaltensreaktionen sowie ernstzunehmende Folgeerkrankungen. Habituationstraining mit Fingerspitzengefühl kann die Situation verbessern, der Hund profitiert zudem von Erfolgserlebnissen.
Aggressiv: „linkslastig“ oder doch emotionsflexibel?
Vorneweg: Linkslastigkeit ist ein leicht angestaubter Begriff aus dem DDR-Wertmessziffernsystem und sagt etwas über die Reaktivität, ergo „Stimulierbarkeit“ einer Persönlichkeit aus. Tatsächlich führt diese Reaktivität häufig zu aggressiven Verhaltensweisen, vor allem, wenn der Hund dadurch seine Umwelt beeinflussen lernt. Bei solchen Persönlichkeitsmerkmalen sollte doppelt und dreifach Wert auf die vermittelten Inhalte gelegt werden. Ein „spritziger“ und energisch agierender Sporthund ist toll. Er sollte dabei jedoch keine Lernerfahrungen machen müssen, die feindselige oder misstrauische Entscheidungen forcieren. Es bedarf einiges an Einfühlungsvermögen, als zweibeiniger Sportskamerad für eine konsequent prosoziale Lernumgebung zu sorgen!
Aggression besitzt viele Facetten.
Die meisten gehören zum natürlichen Verhaltensrepertoire unserer Hunde – auch solche, die wir aus moralischen Gründen ablehnen. Sportliche Herausforderungen, besonders kompetitive Szenarien, trainieren die Fähigkeit, Impulse und affektive Reaktionen zu regulieren. Eine gute Sozialisation zielt ebenso auf genau diese Kompetenzen ab. Unsere Gebrauchshunde tendieren aufgrund ihrer Zuchtauswahl zu eher aggressiven, selbstbehauptenden Persönlichkeitsmerkmalen – jedoch im Rahmen von Kooperationsfähigkeit und Lenkbarkeit. Darunter finden sich aber auch Individuen, die emotional instabil und nervlich wenig belastbar sind. Diese Eigenschaften machen Aggressionspotential überhaupt erst problematisch.
Im Hundesport gilt hier ein lückenloses Sicherheitsmanagement zu beachten: die Teilnahme eines solchen Kandidaten darf nicht andere Teams gefährden. Riskant sind zudem Stresssituationen, neue Lerninhalte und zu hohe Anforderungen. Auch die Selbstsicherheit des Hundeführers als Orientierungspunkt darf nicht beeinträchtigt werden. Behält man diese Parameter im Blick, profitieren gerade diese Hunde vom Sport.
Hyperaktiv: 100.000 Volt zu verschenken!
Lebhaftigkeit ist nicht gleich Hyperaktivität. Und wenn auch häufig begleitend, muss Hyperaktivität nicht von einem Aufmerksamkeitsdefizit begleitet werden. Viele Hüte- und Treibhundetypen scheinen dieses Wesensmerkmal regelrecht im Rassestandard mitzubringen: sie lösen Anspannung vorzugsweise über Bewegung, favorisieren körperlich fordernde, reaktionsschnelle Tätigkeiten, bellen viel, verfügen über eine „kurze Lunte“ und setzen dopaminerge Befriedigung über Ruhebedürfnisse und soziale Interaktion.
Innerhalb dieses Typs ist daran nichts Außergewöhnliches. Meist ist der Mensch zu langsam oder gar zu „grob“, was den Hund frustriert und überfordert. Und in so einem Zustand lässt die kognitive Fähigkeit zur Problemlösung nach. Das wirkt schnell wie ein generalisiertes Aufmerksamkeitsdefizit.
Pathologisch wird das Aktivitätslevel, wenn der Hund nur über massive körperliche Erschöpfung zur Ruhe kommt und stereotype Stresskompensation beginnt. Häufig findet sich hierbei eine behandlungsbedürftige Dysbalance im Neurotransmittersystem: der Hund baut Stress nicht mehr ausreichend ab. Leider kann anhaltende Überforderung und Überregung in den ersten Lebensmonaten zu Entwicklungsschäden führen, die sich ähnlich wie Hypersensibilität auswirken. Zudem ist ein Augenmerk auf Selbstbeherrschung (Impulskontrolle und emotionale Regulation) immens wichtig und auch darauf, dass Erschöpfung die Fähigkeit dazu herabsetzt.
So verführerisch die Energie und Aktionsbereitschaft auch sein mag: weniger ist mehr. Dafür bitte qualitativ hochwertig!
Unkooperativ: Der Alles-Alleine-Könner
Besonders frustrierend für den Hundehalter sind Vierbeiner, die generell nicht viel von den Wünschen ihrer Sozialpartner halten: die ewig Unkooperativen. Ihnen ist Selbstbestimmtheit und Entscheidungsfreiheit ein weit höheres Gut als die Zusammenarbeit mit dem Menschen. Druck oder formelle Vorgaben führen zu Widerstand oder gar Meideverhalten. Hier braucht es ganz klare Argumente in Sachen Motivation:
Wenn du mit mir kooperierst, erfährst du einen Vorteil, den du alleine nicht erreichst.
Das ist pure Herausforderung für den Menschen und manchmal nicht mit Prüfungsvorgaben vereinbar. Unmotivierte Charaktere toppen das noch. Die vorher überlegen, ob eine Bewegung Sinn macht und wenn ja, ob sie nochmal Sinn machen würde. Immerhin verfügen diese Hunde über hervorragende Selbstschutzmechanismen. Hier darf man sich als leidenschaftlicher Hundesportler durchaus fragen, ob der Plan des „gemeinsamen Hobbys“ wirklich zielführend ist. Besitzt man die Geduld und auch die Akzeptanz, eine Tätigkeit im Rahmen der hundlichen Interessensgebiete auszuüben, können sich einige Überraschungen in Sachen kreativer Strategien einstellen. Letztendlich sind diese Hunde genetisch weniger auf dopaminerge Erwartungshaltung fixiert, besitzen aber oft ganz andere Kompetenzen. Die Strukturen und Abläufe unseres Hundesports erfordern aber genau solche Merkmale und das kann sehr frustrierend für alle Beteiligten werden.
Fazit: Wenn beide Beteiligten sich einig sind, macht Sport als Team wirklich Spaß!
Quellen:
- (1) MA Shawn Achor, (2010). „The happiness advantage“
- (2) PD Dr. Gitta Jacob „Psychologie Heute Compact 67: Schwierige Beziehungen“
- (3) Wittchen, H.U. & Hoyer, J. (Hrsg.) (2006). „Klinische Psychologie & Psychotherapie“
- (4) Dr. rer. nat. S. Cordero (2005) „Persönlichkeitsstile und psychische Erkrankung“
- (5) Dr. Marie Nitschner (2017) Hundeprofil: „Aggressivität – Eine Frage der Rasse?“
- (6) U. Ehlert, R. v. Känel (2011) „Psychoendokrinologie und Psychoimmunologie“
- (7) Gülay Üncücü (2019) „Der gelassene Hund: Selbstbeherrschung, Impulskontrolle, Frustrationstoleranz“