Was Hänschen nicht lernt, ...

 

Mythen, Märchen & Legenden: was ist dran an ihnen? 

Diesmal: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?

Das Geheimnis des Erfolges liegt in einer möglichst frühen Förderung des Hundes ... so glauben das viele, die sich einen Welpen kaufen und Hundesportler sowieso. Ein Welpe wird also möglichst mit acht Wochen in sein neues Zuhause gebracht, damit er sein Umfeld und seinen Hundeführer kennenlernt, Bindung aufbaut und den besten Start ins Hundeleben und in die Ausbildung bekommt. Was in den ersten Wochen verpasst wird, scheint uneinholbare, verlorene Zeit.

☐ Ist das wirklich so? Ist früher immer besser?

Diese Fragen beantwortet die Kynologie aktuell inzwischen anders als bisher. Tatsächlich entwickelt sich das Gehirn des Hundes nie wieder so rasend schnell, lernt Neues und bildet neuronale Verknüpfungen, wie im ersten Lebensjahr. Dabei sind es viele unterschiedliche Areale, die sich gleichzeitig entwickeln. Bezogen auf die rein physische Gehirnentwicklung ist das zwar richtig, dennoch mussten in den letzten Jahrzehnten in der Neurologie viele Überzeugungen revidiert werden.

Glaubte man früher Verletzungen des Gehirns seien irreversibel, weiß man inzwischen, dass andere Regionen Aufgaben verletzter Teile übernehmen können, sich neue Verknüpfungen bilden und so eine Wiederherstellung körperlicher und geistiger Fähigkeiten möglich ist. Und weil das so ist, weil das Gehirn nie aufhört sich nach neuen Anforderungen oder Notwendigkeiten umzubilden, ist Lernen bis ins hohe Alter möglich. Vorausgesetzt, dass die Motivation dafür nicht in Stupidem und Abstumpfendem, immer Gleichem erstickt.

Das Gedächtnis braucht mit zunehmendem Alter zwar länger, sich Neues zu merken, doch je besser das Individuum gelernt hat zu lernen, je mehr Lernmechanismen aktiviert und Ebenen des Lernens erreicht wurden, desto länger erhalten sich auch Flexibilität, Merkfähigkeit und Lernfreude.

☐ Lebensbaustelle Gehirn

Geboren werden Säugetiere bereits mit allen Nervenzellen, die ihnen jemals zur Verfügung stehen werden. Im Laufe der Kindheit und Jugend sind es, einfach gesagt, die Isolierungen um die Nervenbahnen, die wachsen und einen großen Anteil an der Gehirnvergrößerung haben. Diese weiße Substanz, das Myelin, wächst nach und nach um die Axone und isoliert so die Nervenstränge. Das bewirkt eine deutlich zuverlässige und vor allem schnellere Impulsweiterleitung.

Nerven, Synapsen & Co.

 

☐ Schnelltrassen erhöhen Lernerfolg

Die zweite große Komponente der Gehirnentwicklung ist die Verknüpfung der Nervenzellen. Die Axone verbinden die einzelnen Nervenzellen und leiten so über stärker oder weniger stark ausgebildete Datenautobahnen die Impulse weiter. Es sind diese Nervenbahnen, die Training und Ausbildung bilden und verstärken und die, die Verknüpfungen mit den Muskeln und Gliedmaßen herstellen.

Neben diesen physiologischen Prozessen laufen beim Lernen auch chemische Prozesse ab, die das Erinnern unterstützen. Emotionales Lernen erlaubt dem Hund sehr viel schneller Informationen abzuspeichern. Ein Cocktail verschiedener Hormone aktiviert das chemische Gedächtnis, das einen sehr hohen Erfolgsanteil hat und sowohl durch negative wie positive Gefühle schnell und nachhaltig ans Ziel führt. Leider verpassen wir oftmals das optimale Fundament sowohl chemisch, neuronal, wie auch funktional bei unseren Welpen breit zu gründen. Wir verschenken quasi das Potenzial, das unsere Hunde bereithalten, indem wir sie relativ steril, emotionslos und einseitig trainieren, um schnell sichere Ergebnisse zu erzielen. 

Links- und Rechtshänder

Lernformen beim Hund

Wer kennt es nicht aus eigener Erfahrung? Schon als Kind entscheiden wir unbewusst über unsere Händigkeit. Wir bevorzugen die dominante Hand, nutzen sie für alles und lassen zu, dass die schwache Hand immer ungeschickter wird. Umerzogene Linkshänder oder Menschen, die sich die dominante Hand verletzt hatten, entwickeln zwangsläufig eine bessere Koordination durch verstärkte Nutzung dieser sonst vernachlässigten Hand. Dieses Beispiel erklärt nachvollziehbar wie neuronales Training funktioniert.

Nun entscheiden wir meist selbst, welche Körperseite unsere dominante ist – ein Hund muss sich den Vorgaben des Hundeführers beugen und da läuft er nun mal links. Vielleicht läge diesem Hund die rechte Seite von seiner vorgegebenen Motorik und Orientierung aber besser, wer weiß? Idealerweise sorgt ein beidseitiges Training nicht nur für bessere körperliche Harmonie und Muskelaufbau, es verhindert auch Einseitigkeit in der Haltung und beugt damit Skelett-, Sehnen- und Muskelschäden vor. Gleichzeitig werden doppelt so viele Nervenbahnen angelegt, wodurch der Hund aufmerksamer, konzentrierter und flexibler in seinem Tun wird.

Neben der Gehirnreifung spielen andere Faktoren eine wichtige Rolle beim Lernerfolg

Waren Jahrzehnte lang die Klassische und die Instrumentelle Konditionierung die primär angewandten Lernformen im Hundesport, finden sich inzwischen langsam andere Lernstrukturen, die ein Abstumpfen und Festfahren in automatisierten Abläufen verhindern und die Hunde bis ins Alter freudig arbeiten und lernen lassen.

Ein abwechslungsreiches aktives Lernen mit einem hohen Maß an Eigeninitiative, selbstständigem Ausprobieren und Handeln auch durch Unterstützung der bekannten Konditionierungen, wie zum Beispiel beim Shapen, führen zu einer großen Aufmerksamkeit, weil die Arbeit für den Hund unvorhersehbar ist.

☐ Das emotionale Lernen beinhaltet auch die Kommunikation und den Bindungsaufbau in großem Maße

Der Wunsch nach einer gefestigten Bindung verleitet dazu, den Hund möglichst früh beim Züchter abzuholen. Gesetzlich geregelt darf das innerhalb Deutschlands mit acht Wochen passieren. Hunde, die aus dem Ausland eingeführt werden, dürfen erst mit gültiger Tollwutimpfung, also mit 16 Wochen kommen. Die Versuchung, einen Welpen schon vorher über die grüne Grenze zu schmuggeln ist, in Anbetracht der Angst, wichtige Zeit zu verpassen, groß und birgt die Gefahr, dass der Hund bei Entdeckung oder zum Impftermin beim Tierarzt beschlagnahmt wird und in eine zweimonatige amtsveterinäre Quarantäne muss. Aber ist der vermeintliche Nutzen das Risiko wert?

erste Schritte mit Welpen☐ In der Ruhe liegt die Kraft

Tatsächlich ist die Übernahme eines Welpen mit acht Wochen aus verhaltensbiologischer Sicht nicht optimal. Udo Gansloßer, Verhaltensbiologe der Uni Greifswald, beschreibt gestützt auf Studien seiner Kollegen Adam Miklosi, James Serpell und John Bradshaw, dass der Hund möglicherweise ab der 12. wahrscheinlicher sogar erst ab der 15. Lebenswoche überhaupt erst beginnt, Bindung zu einem spezifischen Menschen aufzubauen, sich also einer bestimmten Person anzuschließen.

Die Wochen vorher dienen im geschützten Umfeld dem Beobachtungslernen und der Sozialisierung. Welpen, die beim Züchter eine generalisierte positive Erfahrung mit Menschen im Allgemeinen gemacht haben, sind prädestiniert ab der 15. Woche eine enge und belastbare Bindung zu ihrem neuen Besitzer aufzubauen. Insofern ist bei einer späteren Übernahme kein Nachteil für die Mensch–Hund-Beziehung zu befürchten. Eine breite allgemeine Förderung beim Züchter bietet eine gute Basis für das gesamte Leben. Tatsächlich überwiegen bei der späteren Abgabe die Vorteile, insbesondere dann, wenn die Welpen in einem Rudel mit Babysitterhunden aufwachsen. „Die bisherigen Vorstellungen, dass eine korrekte Sozialisierung eines Welpen und Junghundes mit der neuen Familie eine Abgabe im Alter von acht bis neun oder vielleicht sogar schon unter acht Wochen erfordern würden, beruhen auf Fehlinterpretationen früherer Daten. [...] Es sollte daher wichtiger sein, die Sozialisierung der Welpen in ihrer primären Umgebung, also in der Familie und im Umfeld des Züchters zu optimieren und stattdessen das von der Entwicklungsbiologie gefundene Zeitfenster bis zum Ende der zehnten bis zwölften Woche dort verbringen zu lassen.“ So Udo Gansloßer in seinem, mit Petra Krivy geschriebenen, Buch „Ein guter Start ins Hundeleben“.

In diesem Sinne, was Hänschen gut behütet für sein Leben lernt, macht es Hans einfacher bis ins hohe Alter flexibler und lernoffen zu bleiben, um vielleicht auch nachzuholen, was bei Hänschen verpasst wurde. 

 

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