Weiberhaushalt oder Testosteronalarm?
Die Zeiten des „braven Familienhundes“ scheinen vorbei – heutzutage liegt Mehrhundehaltung voll im Trend. Wo man früher ab drei Hunden hart an der Grenze zum gesellschaftlichen Aussteiger landete (die nächste Stufe wäre dann die einsame Hütte im Wald und der geteilte Hundenapf – oder der Wohnwagen auf dem Hundeplatz), gilt es heute als besonders tierlieb und durchaus gesellschaftstauglich: Wer seine vierbeinige Familienmitglieder perfekt managt, zeigt sich kompetent, organisatorisch begabt und nervlich belastbar.
Der Schein trügt allerdings: laut Statistika.de besaßen rund 9 Millionen Personen im Jahr 2020 einen Hund – lediglich 1,35 Millionen Halter bestritten ihren Alltag mit zwei Hunden. Und die berühmt-berüchtigte Mehrhundehaltung? Die bewegt sich seit Jahren zwischen 280.000 und 190.000 Hundebesitzern, sogar eher leicht rückläufig.
Von einer bellenden Invasion in deutschen Haushalten kann da nicht die Rede sein – allerdings rückt die Thematik selbst mehr in den Fokus. Das hat unter anderem auch wirtschaftliche Hintergründe: Es gibt einen kaufkräftigen Markt dafür. Und auch der gesellschaftliche Umgang mit der Haustierhaltung hat sich verändert: Hunde brauchen Sozialkontakte, der fürsorgliche Wunsch nach einem Spielgefährten für den geliebten Familienhund drängt und natürlich suchen auch viele Tierschutzhunde ein neues Zuhause, für die man gerne ein wenig zusammenrückt. Von der sportlichen Karriere ganz zu schweigen: Oft ist besagter Familienzugang der Nachfolger für unseren älter werdenden Sportskameraden.
„Platz ist in der kleinsten Hütte“ – oder etwa nicht? Schauen wir uns zunächst mal an, was „Mehrhundehaltung“ im Detail bedeutet. Denn dahinter steckt mehr als eine größere Autotransportbox und einen zweiten Liegeplatz.
Vom Biologieunterricht in der Schule kennen wir den Begriff „Rudeltier“: Wölfe und auch ihre domestizierten Nachfahren in unseren Haushalten sind nicht gerne alleine. Sie suchen Gesellschaft, können kommunizieren, bauen komplexe Sozialstrukturen aus und vor allem sind sie damit sehr erfolgreich!
Allerdings geht man heutzutage durch neuere Ergebnisse der Verhaltensforschung davon ab, unseren Haushunden das „Familiensystem“ eines Wolfsrudels überstülpen zu wollen: Es lässt sich schlicht und ergreifend nicht übertragen. In den seltensten Fällen ist eine Hundegruppen ein über mehrere Generationen reichender Familienverband, in dem bereits die Welpen „von der Muttermilch an“ bestimmte Traditionen und Verhaltensweisen dieser spezifischen Familie erlernt haben. Wölfe beherrschen auch eine natürliche Form der Verhütung und Geburtenkontrolle – rangniedere, zu junge oder nicht attraktiv genug erscheinende Wölfinnen kommen innerhalb einer Familie nicht „zum Zug“ oder absorbieren sogar die befruchteten Embyronen, wenn sich verändernde Umweltbedingungen einer erfolgreichen Aufzucht in den Weg stellen. Zudem wandern jüngere Wölfe ab, wenn sie sich nicht in den Familienverband integrieren können. Für schwelende Konflikte hat ein wildlebendes Rudel keine Energie übrig.
Unsere Haushunde sind mehr oder minder bunt zusammengewürfelte Individuen, oft aus unterschiedlichen Rassen oder Herkunftsländern. Sie haben ihre Schicksalsgemeinschaft nicht gewählt und können sie auch nicht aus eigenem Antrieb verlassen. Das erfordert ein extremes Maß an Sozialkompetenz und Anpassungsfähigkeit, denn: dauerhafte Antipathie und Ablehnung stellen für Hunde ebenso wie für uns Menschen ein immenser Stressor dar, der unweigerlich zu körperlichen Erkrankungen führt. Ein wichtiger Faktor ist auch „Langeweile“: Haushunde haben sehr viel Energie übrig, um sich auf Konflikte einzulassen. Sie müssen sich nicht darauf fokussieren, in der Kooperation mit ihren Mitstreitern erfolgreich zu jagen oder ihr Territorium zu verteidigen. Das birgt doppeltes Konfliktpotential, denn das Regulativ des „notwendigen Miteinanders“ fällt weg.
Wir Mehrhundehalter können aber viel tun, um die Anpassungsfähigkeit nicht zu überreizen.
Sexualhormone sind dabei kein kleines Thema: „Rudel“ im Sinne von Familienverbänden sind rund um die Thematik „erfolgreiche Fortpflanzung und Aufzucht“ strukturiert. Unsere domestizierten Haushunde sind fruchtbar und vermehrfreudig, müssen größtenteils aber in einem Umfeld leben, in dem ihre Sexualität als störend empfunden wird. Dazu wird auch kastriert, gespritzt, weggesperrt – kurzum: zwei Mal im Jahr ist Ausnahmezustand angesagt.
Viele Halter favoritisieren eine geschlechtergetrennte Haltung: Hündinnen in einem handfesten „Weiberhaushalt“ oder die manchmal testosterongeschwängerte Rüden-WG mit Lizenz zum Beinheben. Und dann leben auch mancherorts intakte Rüden und Hündinnen zusammen, vor allem bei Rassezüchtern. Die Dynamik dahinter sollte jedoch nicht unterschätzt werden.
Gibt es einen klaren Vorzug?
Nein. Aber wir können uns und unseren Hunden das Leben einfacher machen, indem wir uns auf das konkrete Ziel unserer angestrebten Mehrhundehaltung besinnen. Müssen wir fortpflanzungsbedingte Konkurrenz forcieren, wenn wir keine Fortpflanzung anstreben? Müssen wir im Gegenzug kastrieren, nur um eine Konstellation zu erzwingen?
Für intakte Rüden ist die Läufigkeit einer Hündin und der damit verbundene Konkurrenzdruck in einer Gruppe immens belastend. So „natürlich“ der Vorgang auch sein mag – der Umgang damit innerhalb unserer gesellschaftlichen Regeln und Toleranzschwelle ist es nicht. Für sexuell sehr interessierte und durchsetzungsfreudige Rüden ist eine „Männer-WG“ sicherlich die bessere Wahl. Noch besser, wenn sie dabei regelmäßig forderndes Ausdauertraining wie Zughundesport oder Langstreckenläufe im Gelände absolvieren dürfen: das senkt den für das sexuelle Interesse verantwortlichen Testosteronspiegel auf natürlichem Weg.
Umgekehrt sind schüchterne und wenig selbstbewusste Hündinnen mit dauerndem Rüdenkontakten oft überfordert. Wohingegen sie mit souveränen Hündinnen ein entspanntes Miteinander entwickeln kann, da etwaiges hormonbedingtes Konkurrenzverhalten durch Rückzug und introvertierten Umgang gut beeinflussbar sind. Vorausgesetzt, die Hündinnen können sich grundlegend „gut riechen“ und zeigen keine generelle Antipathie.
Die „Wildform“ ist nicht immer das Optimum. Es gibt selbstverständlich auch Haushunde, die sich hervorragend mit Läufigkeiten, ausgeprägtem „Rüdentum“ und unserer Gesellschaft ausbalancieren können. Gefordert ist hier aber Hundehalter und seine Fähigkeit, klare Strukturen, Regeln und im Gegenzug individuelle Rückzugsbereiche zu organisieren. „Mehrhundemanagement“ muss man schon mögen – und können. Den Hunden zuliebe.
Quellen:
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/181167/umfrage/haustier-anzahl-hunde-im-haushalt/
- https://www.pro-hun.de/mehrhundehaltung
- https://chwolf.org/woelfe-kennenlernen/biologie-ethologie/sozialstruktur-und-rudel
- https://kynologisch.net/intuition-vs-wissen-gilt-nicht-interview-mit-dr-dorit-feddersen-petersen/
- https://www.wn.de/freizeit/ratgeber/gesundheit/wie-sport-und-libido-miteinander-zusammenhangen-837435