Versagen mit Ankündigung
Spätestens, wenn der ansonsten so dienstbepflissene Vierbeiner beim „VORAUS!“ mit einem irritiert-verächtlich anmutenden Blick nach dem Inhalt dieses Begriffs fragt, fällt Mensch die persönliche Inkonsequenz in der Trainingsgestaltung buchstäblich auf die Füße:
Das hat man „mal irgendwie gemacht“ und sah „doch ganz gut aus“. Dann hat man sich lieber aufs Springen oder das noch immer zappelige Apportieren konzentriert. Und die Wendungen waren auch noch nicht so elegant. Da geht so etwas Banales schnell mal unter, denn: hat ja funktioniert.
Hoppla. Übung null Punkte. Selber Schuld!
Versierten Hundesportlern mit Wettkampferfahrung passiert das eher weniger. Unerfahrene Sportler unterschätzen indes leicht die Stressoren einer Prüfung: Aufregung, mehr Betrieb auf dem Platz, keine Hilfengebung erlaubt, das wachsame Auge des Richters ... und dann muss man sich als Zweibeiner ja auch penibel auf den korrekten Ablauf konzentrieren. Resultat: Zack, der Hund ist verwirrt, weil ihm vorher selbstverständliche Signale fehlen.
Können wir diese unangenehmen Überraschungen überhaupt vermeiden, oder kochen erfolgreiche Hundesportler etwa mit „besserem“ Wasser?
Gewissenhaftigkeit ist eine hilfreiche Tugend!
Die Diplom-Psychologin und Kynologisch-Dozentin Ines Neuhof schreibt in ihrem Blog von „Eigentlich-Tieren“ und bezieht sich auf die erstaunliche Eigenheit von Tierhaltern, „eigentlich“ sinnvolle Maßnahmen ganz uneigentlich zu versäumen.
Das lässt sich selbstverständlich auch im Hundesport beobachten. „Eigentlich“ hat man das ja trainiert - aber wirklich gewissenhaft war das Training nicht. Das soll gar kein Vorwurf sein. Die meisten von uns betreiben Hundesport als Freizeitgestaltung und suchen Distanz von Stress, verbindlichen Verpflichtungen und Leistungsdruck. Da klingt ein Appell zu mehr Gewissenhaftigkeit eher abschreckend. Wer assoziiert dies nicht mit mühseliger Kleinkariertheit? Doch diese Sichtweise ist bei allem Verständnis wenig konstruktiv.
Wirft man einen Blick in die Persönlichkeitspsychologie, findet man den Überbegriff „Gewissenhaftigkeit“ sogar im OCEAN-Modell der Fünf-Faktoren-Bestimmung. Auch bekannt als „big-Five“ Persönlichkeitsdimensionen. Niedrige Werte bei dieser Eigenschaft klingen keineswegs unsympathisch: wer spontan, eher unbekümmert und dadurch entspannt agiert, scheint eine ideale Freizeiteinstellung zu besitzen.
Aber Vorsicht: Persönlichkeitseigenschaften sind keine bewusst eingenommenen Rollen, sondern beeinflussen unbewusst unsere gesamten Denk- und Wahrnehmungsprozesse. Und das sowohl genetisch beeinflusst, als auch durch unsere kulturelle Sozialisation. Wir können das also nicht so ohne weiteres steuern, wie wir vielleicht glauben. Was im Freizeitmodus sicherlich qualitativen Wert besitzt, steht uns spätestens bei der Erfüllung von Aufgaben im Weg: wer „unbekümmert“ sämtliche Vorbereitung sausen hat lassen, fühlt sich in einer Prüfungssituation schnell überfordert. Uns fehlt durch Erfahrung und Routine gewonnenes Selbstvertrauen. Fataler Weise, weil uns der anstrengende Weg dahin – also durch gewissenhaftes Training – als frustrierend und demotivierend erschien ... ein Dilemma!
Unbewusste Hilfen – wie wir im Training mogeln, um Fehler zu vermeiden
Woher kommt diese Abneigung gegen mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt im Training? Schließlich investieren wir viel Zeit und oftmals auch erhebliche finanzielle Werte in eine Prüfungsvorbereitung. Und bringen uns dann quasi eigenmächtig um unsere verdiente Belohnung.
Ein Ansatz aus der Wirtschaftswissenschaft setzt Erfolg in Verbindung mit einer „positiven“ Fehlerkultur und einer Menge Missverständnisse drum herum. In dem einen oder anderen wird es jetzt innerlich „klingeln“: wann haben wir uns zuletzt im Training so richtig beschämt und verärgert gefühlt, weil wir – oder sogar der Hund – eine Übung hahnebüchen vergeigt haben? Kam das danach noch mal vor oder haben wir dieses Erlebnis eher vermieden? Und hier die Crux: Hat dieses unschöne Erlebnis tatsächlich zu mehr Gewissenhaftigkeit geführt oder eher dazu, dass wir im Anschluss „peinliche Fehler“ vermieden haben?
Ein wenig liegt es auch an der jeweiligen Trainingsphilosophie. Dort finden sich Weisheiten wie: „Lass nie Fehler zu, sonst lernt der Hund das Falsche“. Was aus lerntheoretischer Sicht erstmal Sinn macht, wird im Training zum Handicap. Beim Erlernen einer neuen Aufgabe muss die Bestätigung korrekt kommen – oft wird dieser Grundsatz jedoch auf die gesamte Durchführung verallgemeinert. Ob der Hund letztendlich mehrere Fehlversuche benötigt, um mit dem erwünschten Zielverhalten das Objekt seiner Begierde zu erhaschen, verhindert keinesfalls eine später korrekte Übung! Maßgeblich ist die Konsequenz und das passende Timing, ausschließlich das „Zielverhalten“ zu belohnen.
Eine gegenläufige Philosophie provoziert bewusst Fehlverhalten, um diese zu „bestrafen“. Häufig lassen sich dabei sehr große Schritte im Trainingsaufbau beobachten – der Hund wird bewusst überfordert, Fehlversuche gerügt. Das führt letztendlich zu hoher Anspannung und Stress, auch bleibt häufig der Erfolg aus. Auch beim Hundeführer – denn wer „gängelt“ schon gerne seinen Hund?
Im Berufsleben lassen sich bei derartig „aversiver Fehlerkultur“ häufig Vertuschungsversuche beobachten. Auch wird der Umgang mit der Arbeitspraxis unflexibel und stark auf Risikominimierung fokussiert. Und auf dem Hundeplatz?
Wenn wir uns unwohl fühlen, einen Hund „ausprobieren“ zu lassen, neigen wir zu unbewussten Hilfen oder verwaschen gar das Trainingsziel durch zu frühe Bestätigung – weil wir unsere eigene emotionale Anspannung dadurch versuchen zu kompensieren. Dass wir dadurch natürlich unseren Trainingszielen nur sehr langsam näherkommen, liegt auf der Hand. Auch führt die konkrete Angst vor Kontrollverlust zu krampfhaften Versuchen, Fehler zu vermeiden: Wir müssen lernen, negatives Feedback konstruktiv zu geben!
Lohnenswerter Kompromiss – Hilfsmittel Trainingsplan
Viele Menschen brauchen eine Orientierungshilfe, um effizient zu arbeiten. Durchaus auch im Freizeitbereich. Ein erfolgreicher Hundesportler besitzt ein – oft aus Erfahrungswerten und vielen Versuchen konstruiertes – System, anhand dessen sich Fortschritte oder Fehlschläge objektiver betrachten lassen. Dadurch wird das gesamte Training resilenter gegenüber „Shit happens“ – und das Risiko sinkt, die Orientierung zu verlieren. Dieses Hilfsmittel muss nicht in Papierform existieren. Aber gerade das kleine Büchlein in der Tasche gibt oft langfristig die Sicherheit, sich nicht zu verzetteln.
Ein guter Trainingsplan ist weit von schweißtreibender, unflexibler Mechanik entfernt. Vielmehr werden die kleinen Einzelschritte einer komplexen Übung sichtbar und auch, wo wir oder der Hund noch Defizite besitzen. Manche Ausführungen haben eine reine Kontrollfunktion: was passiert, wenn wir bestimmte Parameter ändern? Zeigt sich hier ein Fehlversuch, haben wir klar vor Augen, wo wir ein paar Schritte zurückgehen können.
Zudem gewinnen wir eine ehrliche Übersicht, wo wir uns häufig vor Übungen gedrückt haben – hier steigt natürlich das Risiko in der Prüfung!
Ein Trainingsplan trainiert uns in fairem und konstruktivem Fehlermanagement. Er gibt uns negatives Feedback, ohne dabei zu bestrafen – wir haben es letztendlich selbst in der Hand, sorgfältig in an Hund und Hundeführer angepassten Schritten zu üben. Und wer das Büchlein in der Tasche hat, kann sich ganz auf den jeweiligen Moment einlassen: wir müssen nicht mehr krampfhaft alles im Kopf behalten. Das wird uns der Hund danken!
Quellen:
- Neuhof, Ines (2020): Die Eigentlich-Tiere, Blogbeitrag (https://inesneuhof.wordpress.com/)
- Mai, Jochen (2021): Big Five: Was Persönlichkeit bestimmt, Blogbeitrag (www.karrierebibel.de)
- Warkentin, Nils (2020): Fehlerkultur: Wie Unternehmen sie gestalten, Blogbeitrag (www.karrierebibel.de)
- Brückner, Claudia (2021): Qualitätsmanagement und Fehlerkultur: Mit Fehlern gewinnbringend umgehen
- Gal Ziv (2017), The effects of using aversive training methods in dogs—A review, Journal of Veterinary Behavior, https://doi.org/10.1016/j.jveb.2017.02.004
- Ana Catarina Vieira de Castro, Danielle Fuchs, Stefania Pastur, Liliana de Sousa, I Anna S Olsson, (2019) Does training method matter?: Evidence for the negative impact of aversive-based methods on companion dog welfare bioRxiv 823427; doi: https://doi.org/10.1101/823427