So baust du das Selbsvertrauen bei deinem Hund auf
Stefan geht zweimal in der Woche mit seiner Malinoishündin Laika zum IPO-Training auf den Hundeplatz. Dafür erntet er regelmäßig Unverständnis. „Die tut´s doch sowieso nicht!“ „So eine Krücke von Hund wird nie eine Prüfung bestehen.“ Solche oder ähnliche Sprüche kennt auch Laura, die mit ihrem Sam Agility macht. Ihr Border Collie ist, genau wie Stefans Laika, sehr unsicher, wenig belastbar und nur schwer zu motivieren. Warum tun die Beiden es sich trotzdem an, bei Wind und Wetter zu trainieren? Warum geben sie trotz Rückschlägen und frustrierender Erlebnisse nicht auf?
Laura bringt es auf den Punkt: Weil es Sam gut tut! Stefan sieht das genauso. Bevor er mit dem Training begonnen hat, konnte sich niemand seiner Hündin nähern, ohne dass sie völlig ausgerastet ist. Mittlerweile können sogar Männer problemlos bei ihr die Chipkontrolle machen. Das war vor einigen Monaten noch undenkbar. Laura berichtet stolz, dass Sam seit zwei Wochen auch problemlos durch den Sacktunnel läuft. Sie hat das Gefühl, dass er auch in Alltagssituationen, die ihm Angst machen, cooler bleibt und sich mehr an ihr orientiert. Wie haben die Beiden das erreicht? Sicher ist, sowohl Laika als auch Sam profitieren vom Hundesport! Aber was muss man beachten, damit Hunde Ängste und Unsicherheiten bewältigen können?
In der klassischen Verhaltenstherapie werden Ängste mit Desensibilisierung, Gegenkonditionierung und Umkonditionierung bekämpft. Im Hundesport stehen uns aber auch noch andere Mittel zur Verfügung, Ängste und Unsicherheiten zu beeinflussen.
Die Macht der sozialen Unterstützung
Bei Laura fing alles damit an, dass Sam zwar gerne über Hürden sprang oder sich auch im Slalom geschickt anstellte, aber er war nicht dazu zu bewegen, über die Wippe zu laufen. Das wackelige Ding machte ihm höllisch Angst. Also entschieden sich Laura und der Ausbildungswart ihres Vereins, es auf einem anderen Weg zu versuchen. Während der Ausbilder die Wippe festhielt, hob Laura Sam auf die Wippe. Sie hielt ihn fest und presste ihn vorsichtig gegen ihren Körper. Dann wackelte der Ausbilder leicht an der Wippe. Sam bekam Stress und wollte herunterspringen, doch Laura gelang es, ihn festzuhalten und ruhig an sich zu drücken. Nach kurzer Zeit konnte Sam sich entspannen. Laura lobte ihn mit leiser, beruhigender Stimme und begann, ihn zu streicheln. Sie musste ihn jetzt kaum noch festhalten. Sam entspannte sich zusehends. Der Ausbildungswart entschied, die Übung damit zu beenden. Laura hob ihren Border ruhig von der Wippe und brachte ihn ins Auto.
In den folgenden Trainingsstunden wiederholten sie die Übung. Man konnte beobachten, dass der Rüde sich immer schneller entspannte und freiwillig viel engeren Körperkontakt zu Laura suchte. Er merkte, dass er durch Lauras Unterstützung und den engen Körperkontakt den Stress bewältigen konnte. Ganz nebenbei hat das Training auch die Bindung zwischen den beiden positiv beeinflusst. Bindung ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Aspekt. Denn die soziale Unterstützung funktioniert umso besser, je enger die Bindung zwischen Hund und Hundeführer ist.
Unsichere und ängstliche Hunde müssen lernen, Stress auszuhalten und mit Belastungen umzugehen.
Das können sie am besten, wenn sie einen ruhigen und souveränen Partner an ihrer Seite haben, der ihnen Sicherheit und Vertrauen gibt. Dann ist soziale Unterstützung ein sehr effektives Training für diese Hunde. Warum ist das so?
Anti-Stress Effekt durch Oxytocin
Durch die soziale Unterstützung des Hundeführers, zu dem der Hund eine enge Bindung hat, wird das Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet.
Oxytocin hat seinen Spitznamen bekommen, weil es u.a. beim Umarmen ausgeschüttet wird. Es nimmt Einfluss auf die sozialen Instinkte des Gehirns. „Es dämpft über mehrere Wege im Gehirn die Ausschüttung der Stresshormone – geteiltes Leid ist also hier tatsächlich halbes Leid“, so die Tierärztin und Verhaltens-expertin Sophie Strodtbeck. Wichtig für die Ausschüttung von Oxytocin ist die soziale Unterstützung durch eine vertraute Person, zu der eine enge Bindung besteht. Dann kann das Kuschelhormon auch beim Spiel oder sogar bei bloßem Blickkontakt freigesetzt werden.
Aber es gibt auch noch weitere Aspekte im Hundesport, von denen ängstliche Hunde profitieren können.
Führung gibt Sicherheit
Man kann häufig beobachten, dass Hunde in Alltagssituationen, wie z.B. beim Spaziergang vor dem Training, ängstlich-aggressiv auf andere Hunde reagieren. Dieselben Hunde stehen kurz darauf beim Obedience-Training mit geringem Abstand nebeneinander und sind entspannt und konzentriert. Wie kann das sein?
Stellen wir uns Folgendes vor: Man verbindet Ihnen die Augen und setzt Sie tief im südamerikanischen Dschungel aus. Sie sind ganz allein. Langsam wird es dunkel. Es knackt im Unterholz und von überall nehmen Sie die Laute von unbekannten Tieren wahr. Den allermeisten von uns wird das Angst machen. Wenn jetzt jemand kommt und erklärt, dass er sich auskennt und Sie gerne ins nächste Dorf begleitet, werden Sie sich schlagartig sicherer fühlen. Dieses Gefühl des Geführt-Werdens kann man auch auf seinen Hund übertragen, der sich in unserem urbanen Dschungel aus Stein, Glas und Beton auch des Öfteren ängstigt. Führung gibt Sicherheit!
Die Grundlage für Führung ist, das der Hund Kommandos sicher und bereitwillig ausführen kann. Denn Führung heißt nichts anderes als verantwortliches Leiten. Dadurch kann man das Verhalten und die Einstellung des Hundes beeinflussen. Und genau das wird beim Obedience, beim Üben für eine Begleithundeprüfung oder auch bei der IPO Unterordnung trainiert. Das konzentrierte Arbeiten verhindert, dass der Hund sich in seine Angst reinsteigern kann. Stattdessen kriegt er klar vermittelt, was er tun soll. Erfolgreich absolvierte Übungen werden mit Spiel oder Futter belohnt.
Das gibt dem Hund die Sicherheit, das Richtige zu tun. So kann er sich immer weiter entspannen. Wendet man z.B. das konzentrierte Sitzen in der Grundstellung mit Blickkontakt zum Hundeführer in der oben beschriebenen Spaziergehsituation an, reicht das vielen unsicheren oder ängstlichen Hunden schon, um nicht aggressiv auf den entgegenkommenden Artgenossen zu reagieren.
Eigenständigkeit fördern
In der letzten Zeit folgen immer mehr Hundetrainer bei der Therapie von Ängsten nicht mehr ausschließlich der Konditionierungslehre, sondern auch der Human-Psychologie. Das ist möglich, da die emotionale Wirkung von Stress bei Menschen und Säugetieren vergleichbar ist. Dabei geht es in erster Linie um die Entwicklung der Persönlichkeit durch Selbstverwirklichung, Selbstwahrnehmung und Selbstvertrauen.
Für die Entwicklung von Selbstvertrauen ist die Förderung der Eigeninitiative unabdingbar. Nur wenn der Hund durch eigenes, selbstbestimmtes Handeln Herausforderungen bewältigt, stärkt das das Selbstvertrauen. Ein höheres Maß an Selbstvertrauen bedeutet für den Hund einen Zugewinn an Lebensqualität. Er wird mutiger und selbstbewusster.
Stefan konnte bei seiner Hündin sehen, wie sie durch das Helfertreiben im Schutzdienst immer mehr Selbstvertrauen entwickelte. War sie erst noch zurückhaltend, bellte halbherzig und eher aus Unsicherheit heraus, änderte sich das in wenigen Schutzdiensten. Schnell erkannte sie, dass sie den Helfer durch ihr Verhalten in die Flucht schlagen kann. Wichtig hierbei ist, dass der Hundeführer seinen Hund nur dann sozial unterstützt, wenn dieser aus Eigeninitiative versucht, das Problem zu lösen. Wenn Laika nach vorne ging und energisch bellte, lobte Stefan sie aufmunternd. Das gab ihr Sicherheit und sie legte sich noch mehr ins Zeug.
Hätte er versucht, sie zum Bellen zu motivieren und nach vorne anzutreiben, würde er die Entwicklung von Eigeninitiative verhindern und damit auch einen Zugewinn an Selbstvertrauen.
Das Gleiche gilt natürlich für den Kampf um die Beute mit dem Helfer. Kontert der Hund – versucht also aktiv, aus eigener Initiative die Beute zu bekommen – steigert das Gewinnen dieser das Selbstvertrauen stärker, als wenn er für Beutehalten bestätigt wird. Das ist vor allem bei Hunden wichtig, die eine Stockangst haben. Bringt man diesen Hunden zuerst bei, dass sie über Kontern die Beute gewinnen können, haben sie eine bessere Chance, die Unsicherheit oder Angst zu überwinden. Wie kann das sein?
Soldaten kommen in Auslandseinsätzen oft in gefährliche Situationen. Ohne ihre Ausbildung könnten sie diese nicht bestehen und würden von ihrer Angst beherrscht werden. Aber in kritischen Situationen können sie auf das zurückgreifen, was sie gelernt haben. Zu wissen, was man tun muss, gibt Sicherheit und die Angst wird beherrschbar.
Genauso ist es hier beim Hund. Er wird in dem Moment, wenn die Schlaghand sich (mit angemessener Belastung) hebt, tun, was er gelernt hat – um die Beute kämpfen. Überlässt der Helfer dem Hund jetzt sofort den Ärmel, ist der Grundstein gelegt. Der Hund lernt, dass er nur intensiv genug kontern muss, um zu gewinnen. Er kann sich darauf konzentrieren und ein Stück weit die Angst ausblenden. Steigert man die Belastung nun in sehr kleinen Schritten, stehen die Chancen gut, dass er die Stockangst überwinden kann.
Auch Laura nutzt die Möglichkeiten und hat z.B. durch freies Shaping erreicht, dass Sam durch den oben erwähnten Sacktunnel läuft. Immer wenn er sich mit dem „Ungetüm“ beschäftigte, lobte sie ihn, sobald er aufhörte, eine eigene Lösung zu suchen, hörte sie damit auf. Fortschritte, wie das direkte Anlaufen oder das tiefere Hineingehen klickerte und belohnte sie. Freies Shaping durch Klickertraining eignet sich deshalb so gut um ängstliche Hunde zu trainieren und deren Selbstvertrauen zu stärken, da sie dabei überlegen und knobeln müssen. Wenn sie die Herausforderung bewältigt haben, kann man ihnen ansehen, wie stolz sie das macht.
Im Hundesport gibt es viele Möglichkeiten, freies Shaping einzusetzen. Immer mehr Hundesportler wenden es z.B. beim Anlernen des Apportierens an. Aber natürlich kann es auch beim Revieren oder Springen und Klettern nützlich sein. Es fördert in jedem Fall die Problemlösungsfähigkeit und das aktive Verhalten des Hundes. Das hilft ängstlichen Hunden, aber auch alle anderen können davon profitieren.
Wer einen unsicheren oder ängstlichen Hund hat, kann dessen Probleme natürlich nicht allein durch Hunde-sport lösen.
Er sollte sich an einen erfahrenen Hundetrainer oder Verhaltensberater wenden, der auf das Training mit Problemhunden spezialisiert ist. Aber ergänzend zur Verhaltenstherapie kann Hundesport sehr sinnvoll sein.
Der ängstliche Hund kann an den Herausforderungen, die der Sport bietet, wachsen, wird sicherer, belastbarer und stressresistenter.
Ganz nebenbei ergeben sich für Vereine und Verbände durch das Training mit ängstlichen Hunden auch Möglichkeiten, das in der breiten Öffentlichkeit oft angekratzte Image des Schutzhundesportes aufzuwerten. Vielleicht gehören dann Sprüche wie „Der tut´s sowieso nicht!“ bald der Vergangenheit an.