Wenn der Hund zum Junkie wird, kann das familiäre Zusammenleben sehr anstrengend werden!
Die Bestätigung mit einem geworfenen Ball oder einem anderen Beuteobjekt gehört mittlerweile zum normalen Bild im Hundesport. Auch in der Freizeit wird das „Ballspielen“ gerne eingeplant. Schon in Welpenpaketen von Züchtern und Zoofachmärkten findet man neben dem obligatorischen Spielzeug den dazu passenden Wurfarm. Jeder weiß, wie wichtig es ist, mit dem Hund zu spielen. Und so ist der Griff zum Ball auch häufig ein Akt der Bequemlichkeit – während man sich selbst nich bewegen muss, kann der Hund sich mal richtig „auspowern“. Wie praktisch!
Doch dieses vermeintliche Spiel birgt Gefahren. Nicht umsonst spricht man auch von „Balljunkies“ bei Hunden, die sobald ein Ball hervorgezaubert wird, nur noch diesen sehen und nichts anderes mehr wahrnehmen. Doch wie kommt es dazu? Und wie kann man dem vorbeugen?
Auch wenn man umgangssprachlich von „Spielen“ redet, wenn man das Ballwerfen meint, ist es verhaltensbiologisch gesehen etwas ganz anderes. Ein Spiel unter Hunden entwickelt sich spontan aus einer bestimmten Stimmung heraus und dient keinem bestimmten Ziel. Gespielt wird nur in einer entspannten Atmosphäre, in der der Hund sich wortwörtlich fallen lassen kann.
Hunde untereinander zeigen dabei wechselnde Rollen (mal ist der eine, mal der andere der Gejagte) und stellen sich auf ihren Spielpartner ein, indem sie bei einem langsameren Hund ebenfalls langsamer werden oder sich für den kleineren Hund auf den Boden legen.
Spiel ist kreativ - es lässt sich kaum vorhersagen, welche Bewegung als nächstes gemacht wird. Runde, übertriebene und unvollständige Bewegungen sind weitere Kennzeichen für Spiel, genauso wie das Spielgesicht, das dem Gegenüber die Bereitschaft zum Spiel mitteilen soll.
Die Motivation zu spielen ist anderen biologischen Motivationen nachgeordnet – wer hungrig oder müde ist, der spielt nicht.
Das Ballspiel hingegen ist das komplette Gegenteil dessen, was man unter Spiel bei Hunden versteht. Es ist zielgerichtet, die Bewegungen des Hundes sind schnell und werden vollständig ausgeführt. Der Ball wird geworfen, der Hund hetzt, packt den Ball und bringt ihn zurück. Ein Spielgesicht zeigt der Hund ebenfalls nicht, geschweige denn, dass er sich auf schlechtere Werfer mit einem langsameren Bringen einstellen würde. Spielen tut der Hund also nicht – was tut er dann?
[Der Hund jagt!]
Jagd gehört nicht zum Sozialverhalten, sondern zum stoffwechselbedingten Verhalten. Es dient also dazu, den eigenen Stoffwechsel durch das Erlegen und Fressen eines Beutetieres aufrecht zu erhalten.
Um zu verstehen, was im Hund bei der Jagd passiert, lohnt sich ein Blick auf seine Vorfahren – den Wolf. Eine Jagd ist äußerst kräftezehrend und anstrengend und dabei auch nicht immer von Erfolg gekrönt. Es wäre also logisch, dass der Wolf dieses Verhalten einstellt, weil es nicht zum Erfolg führt. In der weiteren Folge würde er schließlich verhungern. Selbstverständlich passiert dies nicht, denn die Natur hat dafür ein äußerst komplexes System errichtet, was dazu führt, dass der Wolf die Jagd trotz Misserfolg immer wieder ausführt. Dieses System ist auch immer noch bei unseren Hunden zu finden: Das System der Selbstbelohnung.
Jagen ist im höchsten Maße selbstbelohnend. Bei der Jagd werden verschiedene Hormone ausgeschüttet, bei denen insbesondere das Dopamin eine zentrale Rolle spielt. Dieser Neurotransmitter ist auch für Motivation, Antrieb, Koordination und Aufmerksamkeit wichtig. Die Hormonausschüttung führt dazu, dass der Hund Glücksgefühle empfindet.
Schon die Jagd an sich ist derartig belohnend, dass sie immer wieder durchgeführt wird und es egal ist, ob Beute gemacht wird oder nicht. Alle Organe werden dank eigener Hormonspritze zu Höchstleistungen gebracht. Der Hund ist schmerzunempfindlich und Hunger oder Müdigkeit werden zur Nebensache. Egal wie anstrengend und gefährlich die Jagd ist, egal welchen Erfolg der Hund hatte – sie wird immer wieder voller Lust ausgeführt. Und nicht nur das: Es werden auch in Zukunft Reize in der Umwelt gesucht, die dieses tolle Gefühl wiederherstellen.
Vom Menschen wissen wir, dass das sogenannte dopaminerge System maßgeblich für das Entstehen von Suchtverhalten ist. Und ähnlich wie ein suchtkranker Mensch verhalten sich auch die sogenannten Balljunkies.
Der Ball versetzt sie in Höchststimmung. Sie sind nur noch schwer in der Lage, Kommandos auszuführen und blenden sämtliche andere Umweltreize aus. Dabei muss der Ball gar nicht immer sichtbar sein. Auch Bälle in Taschen oder in Schränken bringen den Hund dazu, immer wieder seinen Ball zu verlangen. Fällt das Ballspiel trotzdem aus, suchen diese Hunde regelrecht verzweifelt nach Reizen in der Umgebung, die auch diesen „Kick“ auslösen. Ob Schatten, Lichtreflexe, Steine oder Äste – wie versessen werden diese gejagt. Es ist schwer, die Hunde davon abzuhalten das zu tun, denn sie sind süchtig. Auch sonst wirken diese Hunde regelrecht rastlos, kommen nur schwer zur Ruhe und können sich kaum zusammenreißen. Ein Überschuss an Dopamin kann zu unruhigem und impulsivem Verhalten führen – fatal wird es dann, wenn der Mensch meint, dass der Hund noch nicht ausgelastet sei, noch mehr Bällchen wirft und somit noch weiter Öl ins Feuer gießt.
Ein waschechter Balljunkie ist nur noch schwer zu therapieren. Häufig ist der letzte Weg die völlige Abstinenz, sprich: Verzicht auf sämtliche Beuteobjekte. Parallel dazu muss an Ansprechbarkeit, Ruhe und Kontrolle gearbeitet werden. Mit Rückfällen muss man immer rechnen. Sehr viel besser und einfacher ist es, dem vorzubeugen.
Beutemotivation lässt sich hervorragend im Hundesport nutzen. Hierbei sollte man aber immer das Maß im Auge behalten, damit der Spaß nicht zur Sucht wird.
Viele Hunderassen, die auch im Hundesport häufig zu finden sind, neigen zu Suchtverhalten, wie zum Beispiel Schäferhunde, Border Collies, Terrier oder Labradore. Ganz besonders bei solchen Hunden gilt es von Anfang an, die richtigen Grundlagen zu legen.
[Wehret den Anfängen!]
Erfahrungsgemäß ist einer der häufigsten Gründe für die Ballsucht, das frühe exzessive Ballspielen. Bei Welpen wird in der Sozialisationsphase ein neuronales Netzwerk aufgebaut, mit vielen Verschaltungen und Verknüpfungen. Jede Lernerfahrung hinterlässt eine Art Pfad.
In der Pubertät werden diese Pfade umgebaut – das was, nicht gebraucht wird, wird abgebaut und das, was häufiger genutzt wird, wird ausgebaut. So werden Pfade zu Autobahnen im Kopf, die schnell "befahren" werden. Wer in dieser Zeit exzessiv und regellos Bällchen wirft, muss sich nicht wundern, wenn der Hund die dazugehörigen Verhaltensweisen als Autobahn besonders stark ausbaut. Unruhe, das Jagen (oder auch Hüten) von Ersatzobjekten und fehlende Kontrollierbarkeit können die Folge sein.
Im Laufe des Erwachsenwerdens sollten „Ballspiele“ deswegen möglichst wenig und wenn, dann nur kontrolliert stattfinden. Kontrolle ist hier ein Schlüsselwort, denn Impulskontrolle lässt sich in diesem Zusammenhang hervorragend trainieren. Anstatt den Hund direkt das Bällchen holen zu lassen, muss er bis zur Freigabe warten. Erst wenn er Blickkontakt aufnimmt und nachfragt, darf er hinterher und den Ball bringen.
[Sich selbst ins Spiel bringen]
Anstatt dem Hund wiederholt monoton den Ball zu werfen, kann man auch sich selbst wieder mehr in das Spiel einbringen. Hier eignen sich besonders Spielzeuge, mit denen man auch etwas zerren kann (zum Beispiel ein Ball an der Schnur, Zergel oder ähnliches). Bringt der Hund das Objekt, wird er begeistert empfangen. Daran kann direkt noch ein kleines Zerrspiel (Vorsicht jedoch im Zahnwechsel – hier sollte nur behutsam gezerrt werden) angeschlossen werden, was sich bis zum lustigen Sozialspiel ausbauen lässt, in dem der eine dem anderen nachjagt. Spielzeuge müssen nicht immer nur geworfen werden. Nutzt man diese auch mit Sozialbezug, wird der Hund diese nicht nur mit der reinen Jagd verknüpfen.
[Training am Objekt]
Ob Impulskontrolle oder Kommandos – man kann mit dem Training am Spielzeug auch die Ansprechbarkeit trainieren, was ebenfalls dem bloßen Suchtverhalten vorbeugt. Ob ein "Platz" aus der Hatz, ein Abrufen kurz vor dem Packen oder das Verbot des Hinterherlaufens, wenn plötzlich ein Ball über dem Kopf des Hundes fliegt – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
[Hund beachten]
Bei allem, was man tut, sollte man immer den Hund beachten. Wenn der nach solchen Hetzspielen länger stark aufgeregt bleibt, schlecht zur Ruhe kommt oder gar ein „Stressgesicht“ zeigt, ist das immer ein Zeichen dafür, dass es zu viel war. Wie so oft, gilt: Weniger ist mehr. Lieber dreimal kontrolliert bringen lassen, als zwanzigmal unkontrolliert. Ersteres ist zudem auch viel herausfordernder und somit auch auslastender für den Hund.
[Rituale helfen]
Es ist sinnvoll, von Anfang an das Ende eines solchen Spiels mit einem Ritual zu belegen. Oft haben Hundeführer das Problem, dass der Hund mit dem Spielzeug wegläuft oder nach dem Wegnehmen wiederholt den Menschen anspringt oder es mit Bellen wieder einfordert. Dies passiert immer dann, wenn der Hund mit seiner hohen Erregung alleine gelassen wird.
Dass er nicht von alleine runterfahren kann oder sich gar den Spaß nicht nehmen lassen möchte und mit der Beute abhaut, ist verständlich. Hier helfen ritualisierte Ruheübungen, Körperkontakt und langsames Abstreichen des Körpers. Hierfür sollte man sich ausreichend Zeit nehmen, um dies zu etablieren. Auch die Gabe von Kauzeug, Kommandos, die mit Futter bestätigt werden oder schlicht die Suche nach ein paar verstreuten Leckerchen können helfen. Wie so oft macht die Dosis das Gift. Hilfsmittel müssen passend gewählt und umsichtig eingesetzt werden, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Der Hundeführer hat es selbst in der Hand, ob er eine gute Motivation schafft oder ob er seinen Hund abhängig macht. Ein süchtiger Hund ist nicht nur problematisch im Hundesport und im Alltag – er leidet auch erheblich. Es sollte einem daran gelegen sein, seinem Partner dies zu ersparen. ■