Stress bei Hunden: Fluch oder Segen?
Stress macht krank! Nur stressfreies Lernen ist effektiv! Spielen baut Stress ab! Aber stimmt das auch?
Das sind Aussagen, die jeder, der sich mit Hundeausbildung beschäftigt, so oder so ähnlich schon mal gehört hat. Die Frage kann man mit einem klaren „Jein!“ beantworten. Ganz so einfach ist das mit dem Stress nämlich nicht.
Aber was genau ist Stress eigentlich? Der Duden verrät uns, dass Stress eine starke körperliche oder seelische Belastung ist, die zu Schädigungen führen kann. In der Kynologie definiert man Stress als eine unspezifische Körperreaktion, die ausgelöst wird, wenn der Hund mit bestimmten Reizen konfrontiert wird, den sogenannten Stressoren. Ob ein Hund etwas als Stressor empfindet, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab. Stress ausschließlich als etwas Unangenehmes anzusehen, wird der Sache nicht gerecht. Denn Stress ist in erster Linie nichts anderes als die Aktivierung des Körpers.
Ob Stress positiv oder negativ erlebt wird, ist von der emotionalen Bewertung des Stressors abhängig. Umweltreize können für den Hund motivieren, wenn er weiß, wie er die Situation erfolgreich meistern kann. Wenn er also eine sogenannte „Coping-Strategie“ kennt, was ins Deutsche übersetzt „Bewältigungsstrategie“ heißt. Ist das der Fall, wird der Stress positiv erlebt und wirkt motivierend. Man spricht von sogenanntem Eustress. Erscheint die Bewältigung einer Aufgabe oder einer Situation dem Hund hingegen aussichtslos oder löst ein Ereignis sogar Unsicherheit oder Angst aus, wird der Stress zwangsläufig negativ erlebt. Die Situation belastet den Hund körperlich und mental. Diese Form wird als Disstress bezeichnet. Gerät er häufig oder langanhaltend in so einen Zustand, ist das für das Tier gesundheitsschädlich.
Stressoren werden immer individuell bewertet.
Das Peitscheknallen beim Schutzdienst kann bei einem ausgebildeten Schutzhund positiven Stress auslösen, bei einem geräuschempfindlichen, unsicheren Hund hingegen negativen Stress. Wie das Tier auf den Stressor reagiert, ist abhängig von der genetischen Disposition, von Vorerfahrungen, vom Ausbildungsstand, vom Gesundheitszustand und weiteren Faktoren.
Der Grundstein für das Stressempfinden eines Hundes wird bereits sehr früh gelegt. Neben der gesamten Sozialisationszeit ist vor allem der Zeitraum von der dritten bis einschließlich der fünften Lebenswoche sehr wichtig. In dieser Phase wird das hormonelle Regelsystem für das Stressempfinden fein abgestimmt und alle Reize, die der Welpe als neutral oder positiv kennenlernt, werden zu sogenannten Geborgenheitsreizen.
Wie wichtig diese Entwicklungsstufe ist, wird einem klar, wenn man weiß, dass der Welpe nur in dieser kurzen Zeit völlig unvoreingenommen Geborgenheitsreize sammeln kann, da das Gehirn zu dem Zeitpunkt noch nicht in der Lage ist, Angst zu empfinden. Für verantwortungsbewusste Züchter ist eine gute Förderung des Welpen in dieser Zeit also unumgänglich und wirkt sich sehr positiv auf das Nervenkostüm des Hundes aus. Die Gesamtheit der gesammelten Geborgenheitsreize bezeichnet man als Geborgenheitsgarnitur. Defizite in der Geborgenheitsgarnitur sind selbst in der Sozialisationsphase kaum nachzuholen, später wird es immer schwieriger, unter Umständen sogar unmöglich.
Was passiert im Körper des Hundes, wenn er Stress empfindet? Es kommt zu einer massiven Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin, sowie über eine zweite Reaktionskette von Cortisol und Cortison. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Energiebereitstellung, Herzfrequenz und Blutdruck steigen an und aktivieren den Kreislauf, die Durchblutung der Muskeln wird verbessert, die Bronchien werden erweitert und sorgen so für eine Verbesserung der Sauerstoffaufnahme, die Atemfrequenz ist erhöht, die Körpertemperatur steigt an, das Hecheln nimmt zu, alle nicht zum Flucht-Angriff-Schema gehörenden Vorgänge werden eingeschränkt. Dem Hund steht nun seine maximale Kraft zur Verfügung, um die Situation bewältigen zu können. Ergo:
Stress erhöht die Leistungsbereitschaft!
Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Der Hund kann nun zwar besonders schnell auf einen Reiz reagieren, doch er „bezahlt“ dafür mit einer verminderten Fähigkeit für überlegtes Handeln, da der Einfluss von Serotonin auf das Großhirn unter Stress vermindert wird. Es kommt zu einer Denk- und Lernblockade. Das kann so weit gehen, dass der Hund unter starkem Stress sogar nicht mehr in der Lage ist, bereits sicher gelernte Übungen auszuführen, geschweige denn neue Dinge zu lernen und „abzuspeichern“. Der Hund ist nicht stur oder trotzig, wenn er in so einem Zustand seinen eigentlichen Leistungsstand nicht zeigen kann, sondern er ist aufgrund einer biologischen Blockade dazu nicht in der Lage. Wer in so einer Situation seinen Hund bestraft, Druck und Zwang ausübt, handelt tierschutzwidrig! Leider sieht man das auch heutzutage auf Hundeplätzen noch viel zu oft.
Stress ist ein zweischneidiges Schwert. Die Dosis macht das Gift! Chronischer Stress macht krank, während akuter Stress zu keiner Belastung führt, die den Hund schädigt. Positiver Stress ermöglicht hohe Leistungsfähigkeit, während negativer Stress das Gegenteil bewirkt und sich negativ auf die Gesundheit auswirkt.
Wie kann man also sein Training gestalten, um die negativen Auswirkungen von Stress zu vermeiden?
Wie bereits dargestellt, kann ein Hund Stress nur positiv erleben, wenn er weiß, wie er eine Situation erfolgreich bewältigen kann. Daraus ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, dem Hund Übungen zunächst mittels positiver Trainingsmethoden anzulernen, ehe in irgendeiner Form Druck zur Leistungssteigerung ausgeübt werden kann. Hat ein Hund z.B. das Aufnehmen des Blickkontaktes auf das Kommando „Fuß“ nicht sicher gelernt, werden Einwirkungen negativen Stress auslösen, da der Hund nicht weiß, wie er sich verhalten soll, um die Belastung abzustellen. Ein Problem dabei ist, dass wir als Hundesportler oft zu ungeduldig sind und den Leistungsstand unseres Hundes falsch einschätzen. Da fallen dann Sprüche wie: „Der weiß ganz genau, dass er das nicht soll!“ Und mit der Erklärung, dass Hunde auch über negative Verstärkung lernen, wird munter drauf los korrigiert. Es ist klar, dass Topleistungen im Hundesport nicht völlig ohne Zwänge und Korrekturen möglich sind, aber der Zeitpunkt, wann diese Maßnahmen erfolgen, ist entscheidend.
Wenn ich hier über Zwänge und Korrekturen schreibe, dann meine ich damit leichte, angemessene Einwirkungen. Massiver Druck und Strafe sind immer kontraproduktiv und haben in der modernen Sporthundeausbildung nichts zu suchen. Nicht nur, weil sie negativen Stress auslösen und angsterzeugend sind, sondern auch weil sie demotivierend wirken und das Selbstvertrauen des Hundes verringern, im schlimmsten Fall zerstören. Das führt dazu, dass sich der Hund auch zukünftig weniger zutraut, hektisch, unsicher und unkonzentriert wird. Ergebnis: er macht häufiger Fehler!
> Das kann nicht Sinn und Zweck von Ausbildung sein.
Worüber man sich auch im Klaren sein sollte ist, dass falscher Ehrgeiz und damit verbunden zu hohe Trainingsanforderungen ebenfalls negativen Stress auslösen. Sie führen nicht selten zur geistigen und körperlichen Überforderung des Hundes. Auch Wut und Ärger des Hundeführers über misslungene Übungen lösen durch Stimmungsübertragung negativen Stress aus. In solchen Situationen sollte man lieber das Training abbrechen und in Ruhe überlegen, warum die Übung schief gegangen ist.
Unabdingbar ist auch ein gut strukturiertes Trainingskonzept, das dem Hund eine hohe Erwartungssicherheit gibt, das aus kleinen Lernschritten besteht, die nach und nach zu den geforderten Übungen zusammengefügt werden. Der kleinstmögliche nächste Lernschritt wird keinen Hund überfordern. Das ist besonders wichtig bei komplexen Übungen, wie dem Apportieren. Hier bietet sich das sogenannte „Backward-Chaining“, also der Rückwärtsaufbau einer längeren Handlungskette an. Vorteil: jeder neue Lernschritt endet mit einem bereits erlernten Verhalten. Das gibt dem Hund Sicherheit.
Free Shaping durch Clickertraining ist eine weitere Möglichkeit, negativen Stress im Hundetraining zu vermeiden. Es hat den großen Vorteil, dass der Hund sich die Übungen selbst erarbeitet und so die Eigeninitiative und Aktivität des Tieres gefördert werden.
Wie auch immer man sein Training gestaltet, am wichtigsten ist es zu erkennen, ob ein Hund Anzeichen von negativem Stress zeigt. Ist das der Fall, sollte das Training verändert werden, denn die Lernfähigkeit ist unter solchen Bedingungen stark eingeschränkt.
Dass auch Spielen nicht automatisch zum Stressabbau führt, zeigt eine Studie, die Zsuzsanka Horváth aus der Arbeitsgruppe von Ádám Miklósi durchgeführt hat. Ungarische Grenzwächter und Polizeihundeführer spielten mit ihren Hunden drei Minuten lang Zerrspiele. Vor und nach dem Spiel wurde die Cortisolkonzentration im Speichel der Hunde gemessen. Ergebnis: die Cortisolkonzentration der Polizeihunde stieg an, während sie bei den Hunden der Grenzwächter sank. Als Ursache konnte die Art und Weise, wie mit den Hunden gespielt wurde, ermittelt werden. Während die Polizisten ihre Hunde auch während des Spiels disziplinierten und kontrollierten, taten die Grenzschützer das nicht. Nur echtes, freies Spiel senkt den Stresspegel. Kontrolle, Autorität oder Aggression im Umgang mit dem Hund führen zum Anstieg von Stress, was der erhöhte Cortisolspiegel als Belastungsanzeichen deutlich belegte. Spiel ist also noch lange nicht gleich Spiel. Nur wenn Hund und Halter Freude dabei empfinden, werden Glücks- statt Stresshormone ausgeschüttet!
Ist Stress nun Fluch oder Segen? Es kann beides sein. Das richtige Maß dabei zu finden ist die Kunst, aber leider nicht immer einfach. Aber Stress ist Bestandteil des Lebens und wir und auch unsere Hunde, müssen lernen damit umzugehen. Stress kann für eine Steigerung der Leistungsfähigkeit sorgen und die Belastbarkeit erhöhen. Aber zu viel Stress macht krank. Das Gemeine an chronischem Stress ist, er kommt schleichend. Das Fatale dabei, vielen Hundehaltern fällt es dadurch nicht oder erst spät auf, wie negativer Stress ihre Vierbeiner belastet. ■
Quellen:
Celina del Amo, Vivian Theby – Handbuch für Hundetrainer
Udo Gansloßer, Kate Kitchenham – Forschung trifft Hund
Dr. Dorit Feddersen-Petersen – Hundepsychologie