Vegan und Vegetarisch

Mal sind es gesundheitliche Gründe, mal ethische, mal steckt etwas anderes dahinter: Immer mehr Menschen verzichten gänzlich auf tierische Lebensmittel oder schränken sie ein. Konsequenterweise soll das Haustier dann mitziehen. Doch lassen sich diese strikten Ernährungsphilosophien auch auf Hunde übertragen? SPORTHUND ist der Frage mal auf den Grund gegangen.

 

Früher oder später kommt die Gretchenfrage: artgerechte Ernährung – was ist das eigentlich? 

Einen Anhaltspunkt geben die anatomischen und physiologischen Merkmale des Hundes. Dolchartige Fangzähne und messerscharfe Reiß- sowie Schneidezähne erleichtern es ihm, Haut, Sehnen, zähe Muskeln sowie Knochen zu zermalmen. Die zerkleinerte Mahlzeit wird geschluckt; durch das saure Milieu des Magens von pH 1 bis 2 haben Mikroorganismen nur begrenzte Überlebenschancen. 

Auch ihr vergleichsweise kurzer Magen-Darm-Trakt ist auf Fleischverzehr ausgelegt. Ein längerer Darm verschafft Pflanzenfressern Zeit, die harten Pflanzenfasern abzubauen und deren Nährstoffe aufzunehmen. Fleisch hingegen wird schneller verdaut, wofür ein kurzer Darm – bei Hunden variiert er zwischen zwei und sieben Metern – vollkommen ausreicht. Dem Körperbau nach sind Hunde also karnivor. 

In freier Wildbahn ernähren sich wildlebende Hunde jedoch vor allem von dem, was Menschen übrig lassen: Müll, Nutztier-Karkassen, Erntereste und menschliche Fäkalien. Damit haben sie sich über Jahrtausende eine eigene ökologische Nische erschlossen und werden zunehmend eher den „Karni-Omnivoren“ zugeordnet. 

Vegetarier haben höhere Ansprüche

Warum trotzdem Tierhalter ihre Hunde fleischfrei ernähren möchten, hat Svenja Schwark von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg untersucht. Ihre Bachelorarbeit ergab, dass Vegetarier das Futter ihrer Hunde nach anderen Kriterien auswählen als Omnivoren. Ihnen ist Futter aus biologischer Landwirtschaft und regionaler und nachhaltiger Erzeugung wichtiger. Vegetarier haben auch öfter ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihr Tier mit Fleisch füttern; wahrscheinlich, weil sie Tieren höhere emotionale Fähigkeiten zusprechen als omnivore Tierhalter. 

Insgesamt sind Vegetarier einer fleischlosen Fütterung gegenüber offener eingestellt als Omnivoren. Dies führt Schwark darauf zurück, dass immer mehr Studien eine ausbalancierte vegetarische Hundefütterung befürworten.

Zu diesem Ergebnis kommt auch Pia-Gloria Semp von der Universität Wien. Sie hat im Rahmen ihrer Diplomarbeit „Vegan Nutrition of Dogs and Cats“ 20 Hunde untersucht, die über einen Zeitraum von immerhin mindestens sechs Monaten ausschließlich vegan gefüttert wurden. Weder bei der klinischen Untersuchung noch bei der Blutanalyse konnte sie im Vergleich zu fleischhaltig gefütterten Hunden Veränderungen feststellen, die mit dem Futter in Verbindung gebracht werden konnten. Auch Semp kommt zu dem Schluss, dass es möglich ist, Hunde vegan zu ernähren. Dies jedoch ohne gezielte Supplementierung zu tun, davon rät sie ab. 

Supplemente sind unverzichtbar

Das unterstreicht auch Dr. med. vet. Ingrid Vervuert. Sie ist Fachtierärztin für Tierernährung und Diätetik und am Institut für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik der Universität Leipzig tätig. „Entscheidend ist nicht, was in den Napf kommt, sondern was drin ist – also ob das Futter alle lebenswichtigen Nährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe enthält. Prinzipiell lässt sich der Bedarf eines Hundes ebenso mit vegetarischem, als auch mit veganem Futter decken.

Entscheidend ist, dass die Rationen sachkundig zusammengestellt werden“, so die Expertin. Hier kommen synthetische Nahrungsergänzungsmittel ins Spiel, denn auch Tiere sind vor Mangelerscheinungen nicht gefeit. „Wachstumsstörungen, Abmagerung, schlechtes Haut- und Haarkleid“, zählt sie mögliche Symptome auf. Doch die Bandbreite sei sehr groß. Auch Durchfall oder Blähungen könnten auftreten.

Wer für das Projekt „vegetarisch/vegan“ auf kommerzielle Alleinfutter zurückgreift, macht es sich leichter. „Solche Produkte müssen alle essentiellen Nährstoffe enthalten, um den Energie- und Nährstoffbedarf eines Hundes abdecken zu können“, erklärt Ingrid Vervuert. Von „home made diets“ ohne fachkundige Anleitung ist sie kein Fan. 

„Es erfordert große ernährungswissenschaftliche Kenntnis, das Futter selbst zusammenzustellen.“

 Und die Fachtierärztin Vervuert ergänzt: „Das gilt übrigens nicht nur für vegetarisches oder veganes Futter, sondern genauso für das Barfen. Die Rationen sollten nur von fachlich qualifizierten Ernährungsberatern zusammengestellt werden.“ 

Der Deutsche Tierschutzbund e.V, die Dachorganisation der Tierschutzvereine und Tierheime in Deutschland, befürchtet nämlich, dass Tierhalter zu oft immer wieder auf die gleichen Zutaten zurückgreifen. Auf diese Weise fördern sie Einseitigkeit und begünstigen einen Mangel. 

Entscheidend ist nicht, was in den Napf kommt, sondern was drin ist!

Nichtsdestotrotz gibt Ingrid Vervuert einer vegetarischen Ernährung ebenso grünes Licht wie einer veganen. Aber: 

„Eine fleischreiche Fütterung deckt den Bedarf an Protein und essentiellen Aminosäuren in der Regel sicher ab“, erklärt die Ernährungsexpertin. Das gelte ebenso für eine Kombination aus Milch, Milchprodukten und Eiern. 

Je weiter aber der Anteil an tierischen Erzeugnissen im Futter reduziert wird, umso unsicherer ist das. Bei einer vegetarischen Fütterung sei deshalb auf eine tierartspezifische bedarfsangepasste Zufuhr an Protein und essentiellen Aminosäuren zu achten. Sogenannte essentielle Aminosäuren können vom Organismus nicht selbst gebildet und müssen über das Futter aufgenommen werden. Beim Hund zählen Lysin, Methionin, Arginin, Histidin, Leucin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin dazu. 

„Bei veganen Rationen müssen die Proteinquellen zusätzlich aufeinander abgestimmt werden, beispielsweise aus Soja, Erbsen und Bierhefe. Oft müssen auch synthetische Aminosäuren ergänzt werden.“ Außerdem kann die Verdaulichkeit von Proteinen aufgrund schwerverdaulicher Kohlenhydrate geringer sein als bei tierischen Produkten.

Ein Sonderfall ist das Taurin, das im Stoffwechsel als Abbauprodukt der Aminosäure Cystein entsteht. Es gilt chemisch nicht als Aminosäure, da ihm die typische Carboxylgruppe fehlt. Aus diesem Grund ist Taurin auch nicht an der Eiweißsynthese im Körper beteiligt, sondern liegt in freier, ungebundener Form vor. 

Die meisten Hunderassen können es selbst bilden, jedoch vermutlich nicht alle. „Bei Neufundländern oder Golden Retrievern wird oftmals Taurinmangel festgestellt“, erklärt Vervuert. Bei diesen Rassen muss der eigentlich körpereigene Stoff supplementiert werden, denn ein Mangel lässt ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen stark ansteigen. Auch rohfaserreiches Futter erhöht den Taurin-Bedarf.  

Vorsicht bei Fettsäuren, Vitamin D und Cobalamin 

Hunde können viele Fettsäuren selbst bilden, scheitern aber an mehrfach ungesättigten Fettsäuren mit cis-Konfiguration und bestimmten Positionen der Doppelbindungen. Essenziell sind daher die zu den Omega-3-Fettsäuren zählende Alpha-Linolensäure (18:3 n-3) sowie die Omega-6-Fettsäure Linolsäure (18:2 n-6). Sie müssen mit dem Futter zugeführt werden. 

Leinöl ist mit bis zu 60 Prozent die beste Nahrungsquelle für Alpha-Linolensäure. Auch Walnuss-, Raps-, Leindotter- oder Hanföl sind neben Leinsamen wertvolle Lieferanten. Linolsäure findet sich vor allem in Distel-, Sonnenblumen-, Maiskeim- und Sojaöl sowie in tierischen Fetten. Adulte Hunde können Alpha-Linolensäure zu Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA) synthetisieren. Auch sind Hunde in der Lage, aus Linolsäure Arachidonsäure zu bilden. Das unterscheidet sie zum Beispiel von der Katze. Anders als der Mensch aber können Hunde kein Vitamin D in ihrer Haut bilden. „Deshalb sind sie darauf angewiesen, dass das Futter den Bedarf komplett deckt.“ Reichhaltige Quellen sind vor allem tierische Produkte, wobei auch einige Pflanzen wie zum Beispiel Gräser, Algen und Flechten Vitamin D3 enthalten können. Als weitere Quelle für Vitamin D2 gelten Pilze und Hefen. Auch beim zu den B-Vitaminen zählenden Cobalamin kann es zu Engpässen kommen. Es ist natürlicherweise überwiegend in tierischen Produkten wie Fleisch und Leber, aber auch Eiern oder Milch enthalten. „Es sollte daher bei einer vegetarischen und einer veganen Fütterung ergänzt werden“, empfiehlt Ingrid Vervuert. Die übrigen B-Vitamine Thiamin, Riboflavin, Niacin, Pantothensäure, Pyridoxin, Biotin und Folsäure kommen alle in Pflanzen vor und sind bei einer abwechslungsreichen Kost unproblematisch.

Auf Supplemente setzen

Auch bei der Versorgung mit Mineralstoffen kann es bei vegetarischer und veganer Ernährung zu Engpässen kommen. Dies sieht Ingrid Vervuert jedoch unkritisch: „Der Handel bietet eine große Auswahl an mineralischen Einzelfuttermitteln und Nahrungsergänzungsmitteln an, die ergänzt werden können.“

Zuletzt müssen sich Tierhalter über sogenannte anti-nutritive Faktoren in Pflanzen Gedanken machen. Darunter verstehen Ernährungsexperten natürliche Inhaltsstoffe, die eine maximale Verwertung der mit der Nahrung aufgenommenen Nährstoffe einschränken. Ein bekannter Vertreter ist Solanin, das in grünen Kartoffeln zu finden ist. In geringen Dosen sind ist es für Mensch und Tier ungefährlich. Sein stark bitterer Geschmack schützt den Menschen üblicherweise vor zu hohen Dosen, die zu Vergiftungserscheinungen führen können. Rohe Sojabohnen enthalten Trypsininhibitoren, die das Verdauungsenzym Trypsin hemmen und den Proteinabbau im Dünndarm einschränken.

Für welche Hunde es nichts ist

 Trotzdem gibt es Lebensstadien eines Hundes, in denen Ingrid Vervuert von einer rein veganen Fütterung abrät. „Das sind solche mit einem hohen Protein- und Nährstoffbedarf, wie er bei tragenden oder laktierenden Hündinnen sowie bei Welpen auftritt. Bei ihnen übersteigt der Bedarf die Eigensynthese enorm. Dann ist die Zufuhr an Protein, essentiellen Aminosäuren oder auch DHA zu schwer zu steuern.“ 

 Eine lacto-ovo-vegetarische Fütterung sei jedoch bei ausgewogener Rationszusammenstellung möglich. 

Eine vegetarische oder vegane Fütterung ist möglich, erfordert aber ein intensives Ernährungswissen. Wer sich trotzdem dafür entscheidet, sollte sein Tier regelmäßig von einem Tierarzt durchchecken lassen. Nur so können neben Nährstoffdefiziten auch zu hohe Dosen rechtzeitig bemerkt und korrigiert werden. Denn darum geht es doch: dass der geliebte Vierbeiner gesund bleibt. ■

 

 

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