Wagemutig oder scheu?

Der Malinois lässt die Beißwurst keine Sekunde aus den Augen. Er wird leicht unruhig, als sie in einem Anhänger versteckt wird, der mit Dutzenden Luftballons gefüllt ist. Als er freigelassen wird, schießt der Belgische Schäferhund los und springt ohne zu zögern auf den Anhänger. Als er die Beißwurst nicht sofort findet, wird er hektisch und unruhig. Er springt vom Anhänger, umrundet ihn, schnellt wieder in die Luftballons, wirbelt sie auf, schnappt danach. Dann entdeckt er die Beißwurst, stürzt sich kompromisslos auf das Spielzeug, packt zu und trägt es stolz zu seinem Hundeführer. Diese und die anderen Aufgaben bei einer DMC Körung decken die Persönlichkeit der teilnehmenden Hunde in vielen Aspekten auf. 

Die Persönlichkeit jedes Hundes ist einzigartig. 

Das weiß jeder Hundebesitzer. Und nichts anderes zeigen die Ergebnisse der verschiedenen DMA Tests (Dog-Mentality-Assassment Tests → Tests zur Beurteilung der Hunde-Mentalität). Eine Methode zur Charakterisierung von Hunden ist die Einteilung in A- und B-Typen.  

A- und B-Typen

Die beiden Kardiologen Friedman und Rosenman nahmen eine Unterscheidung von Typ-A und Typ-B-Persönlichkeiten vor, um eine Prognose abgeben zu können, wie hoch der Risikofaktor für eine koronare Herzerkrankung ist. 

Die Persönlichkeit des A-Typs ist durch Ungeduld, Ruhelosigkeit, Ehrgeiz, Neugier und Erkundungsfreude sowie Wettbewerbsstreben gekennzeichnet. Typ-A Menschen unterdrücken ihre Emotionen häufig, sind eher unsensibel und erscheinen meist stark, aber auch hart. A-Typen reagieren auf Stresssituationen adrenalingesteuert. Menschen des Typs B hingegen sind meist sanft und lassen sich nicht so schnell stressen. Sie zeichnen sich durch Zufriedenheit und Gelassenheit aus. Auch messen sie sich eher nicht mit anderen, um ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Sie sind in der Regel empathischer als Menschen des Typs A. Ihr Verhalten unter Stress wird vom Cortisolsystem gesteuert.

Studien an Nutztieren, Fischen und Kohlmeisen zeigten, dass auch Tiere auf belastende Situationen auf zwei unterschiedliche Weisen reagieren können. Und so kam es analog zu den Reaktionstypen in der Humanpsychologie zu einer Einteilung in „wagemutig“ und „scheu“. 

Hunde vom A-Typ sind neugierig, erkundungsfreudig und mit viel Tatendrang ausgestattet, wie der beschriebene Malinois am Anfang des Textes, während B-Typen eher still, zurückhaltend und abwartend sind. Die Typisierung kann dazu noch in stabil und instabil unterteilt werden.

Stabiler A-Typ: bleibt auch in Konfliktsituationen und bei Stress selbstsicher und souverän.

Stabiler B-Typ: ruht in sich, bleibt bei Konflikten und Stresssituationen gelassen und verhält sich souverän.

Instabiler A-Typ: ist leicht reizbar, hat so ein Hund einen Konflikt, reagiert er häufig aufbrausend und hysterisch. Er kann Übersprungshandlungen und unangemessenes Verhalten zeigen.

Instabiler B-Typ: versucht Konflikte zu vermeiden, setzt eher auf Rückzug/Flucht als Problemlösungsstrategie, ist dieses bevorzugte Verhalten nicht möglich, kann er auch aggressiv reagieren und bissig werden.

Wer jetzt meint, dass die scheinbar dominanteren A-Typen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als Sieger aus Auseinandersetzungen hervorgehen, der täuscht sich. In vielen Fällen zeigten die Studien, „dass die zurückhaltenden B-Typen im Laufe der Zeit mit ihrer Aussitzmentalität weiterkommen und viel häufiger an den oberen Plätzen einer Rangordnung enden“ (Gansloßer 2012). Wieso erinnert mich das an Helmut Kohl und Angela Merkel?

Forschungsgrundlage: der schwedische Mentaltest

Der schwedische Forscher Dr. Kenth Svartberg hat als erster das Wagemutig – Scheu -System auf Hunde übertragen. Er nutzte zur Bewertung der Hunde den schwedischen Mentaltest des SWDA (Schwedischer Verband für Arbeitshunde). Dieser Verhaltenstest umfasste zehn Testsituationen, denen die Hunde ausgesetzt wurden, wie z.B. Begegnung mit einer fremden Person, das Verfolgen eines schnell fliehenden Objektes, ein „menschlicher Dummy“ wird ruckartig hochgezogen, Zerrspiele mit einer Beißwurst, Geister tauchen aus dem Wald auf, der Hund wird mit metallischen Geräuschen und Schüssen aus einer 9mm Pistole konfrontiert etc.

Wer sich für solche Verhaltenstests interessiert und nicht gleich nach Schweden fahren möchte, der kann sich eine Zuchttauglichkeitsprüfung des Rassezuchtvereins für Hovawart-Hunde e.V. ansehen. Die ZTP des Hovawartvereins orientiert sich weitgehend am schwedischen Vorbild.

Svartberg ließ die Hunde den Test dreimal im Abstand von 30 – 35 Tagen absolvieren. Er wollte sehen, ob die Ergebnisse eine Kontinuität aufweisen oder nur eine Momentaufnahme sind. Er konnte beweisen, dass die Zuordnungen auf der „Wagemutig-Scheu-Achse“ sowie in den Unterkategorien „Verspieltheit“, „Geselligkeit“ und „Verfolgungsneigung“ stabil blieben. Anders war es bei den Ergebnissen für „Neugier/Furchtlosigkeit“ und für „Aggressivität“. Sie veränderten sich. Aggression und Furchtreaktion nahmen bereits zwischen dem ersten und zweiten Test eindeutig ab. Das Neugierverhalten nahm hingegen zu. Wahrscheinlich spielt Gewöhnung hier eine größere Rolle als die entsprechenden Persönlichkeitsmerkmale. 

Eine Fragebogenaktion komplettierte die Arbeit Svartbergs. Die Hundebesitzer bekamen ein Jahr nachdem sie an dem Test teilgenommen hatten, einen Fragebogen zugeschickt. Der Wissenschaftler wollte herausfinden, ob die getesteten Persönlichkeitseigenschaften auch im normalen Umfeld des Hundes auftraten. 

Ergebnis: Mehrere Persönlichkeitseigenschaften wiederholten sich in der Einschätzung der Hundehalter und des offiziellen Tests. Von hoher statistischer Zuverlässigkeit waren Persönlichkeitsmerkmale wie „Interesse am Spiel mit Menschen“, „Verhalten gegenüber Fremden“ sowie die „nicht soziale Furchtsamkeit“. Im Persönlichkeitstest wurden die drei Komponenten als Geselligkeit, Verspieltheit und Neugier/Furchtlosigkeit bezeichnet. 

Die hohe Wiederholbarkeit deutet auch darauf hin, dass diese Merkmale eine hohe Vererblichkeit aufweisen können. Das legt nahe, den schwedischen Mentaltest für die Zucht zu nutzen. Allerdings müsste sichergestellt werden, dass die Beurteilung der Hunde auch fachgerecht durchgeführt wird. Die schwedischen Verbände betreiben dafür einen sehr großen Aufwand. Die Ausbildung sämtlicher am Test beteiligter Funktionäre ist anspruchsvoll. „Um Testassistent zu werden, müssen zwischen 24 und 38 Stunden Ausbildung absolviert werden. Es folgt eine Weiterbildung mit 64 Stunden, will man Testleiter werden. Anschließend muss man noch eine fünfstufige, 94 Stunden umfassende Weiterbildung absolvieren, bevor man Punktrichter werden kann. Alle Prüflinge müssen alle Tests bestehen. Auch die Verlässlichkeit der Tester wird bewertet. In der Prüfung werden zehn Hunde eingesetzt und alle getesteten Variablen müssen zumindest zu 72% mit den Testergebnissen des Ausbilders übereinstimmen. Der Ausbilder wird während der Prüfung von einem Supervisor, einem Mitglied eines landesweit nur wenige Personen umfassenden Prüfungskomitees, bewertet und überwacht.“ Um so einen hohen Standard garantieren zu können, gibt es bei deutschen Zuchtverbänden noch einigen Nachholbedarf.

Anders! Nicht besser oder schlechter. 

Ist es also der Draufgänger, der Typ A, der für den Sport besser geeignet ist? Für den Bereich IGP und Mondioring bestätigen das die Ergebnisse. Hunde mit einer hohen Punktzahl für Wagemut erzielten bessere Ergebnisse im Arbeitshundetest, der in etwa der bei uns üblichen Schutzhundeprüfung entspricht. Das ist leicht erklärt, da es in diesen Sportarten darum geht, dass der Hund sich gegen den Schutzdiensthelfer durchsetzt. Beim Fährten hingegen ist ein eher abwartender, besonnener B-Typ-Hund sicherlich kein Nachteil. Generell kann man also nicht sagen, dass A-Typen besser für den Sport geeignet sind, denn es geht bei der Kategorisierung nicht um besser oder schlechter, sondern um „anders“. 

Deshalb ist es gut zu wissen, was für einen Hund ich habe, denn mit einem eher scheuen Sheltie muss man im Agility anders arbeiten, als mit einem wagemutigen Jack-Russell-Terrier. Den Sheltie an den Trubel einer Agility-Veranstaltung zu gewöhnen, ist sicherlich aufwendiger. Ist einem das jedoch gelungen, zahlt der kleine Wirbelwind einem das in der Regel mit Topleistungen zurück.

Auch in der Politik steht bald ein Wechsel an. Aber ob ein adrenalingesteuerter Hans-Dampf in allen Gassen einen besseren Job im Kanzleramt macht, bleibt abzuwarten. 

 Lies hier ergänzend zum Artikel, was PIERRE WAHLSTRÖM als federführender Offizier der schwedischen Armee zu den Charaktertests für das Militär-Zuchtprogramm sagt.

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